Auf den Spuren Winnetous, zerbrochener Beziehungen und sieben bolognesen Geheimnissen

Rebecca Lehmann
FH-Studentin Redaktorin Brainstorm |
  • 23.08.2018
  • 8 min
"Grenzenlos flexibel" nennen die SBB ihren Global Pass von Interrail. Das Zug-Ticket soll günstig und ideal für junge Entdecker sein. Die Autorin vom Brainstorm erzählt von ihren Erfahrungen und zieht Bilanz.

Abfahrt Sonntag, 20:41 Uhr, in ZĂĽrich.

Wir hatten für die zehnstündige Fahrt Plätze im Liegewagen statt einer Kabine gebucht, denn die Reise sollte möglichst günstig sein. Aus demselben Grund liegt unser erstes Reiseziel auch im Osten Europas. Meine Mitbewohnerin Maria und ich konnten uns unter Ljubljana bisher nicht viel vorstellen. Der Name klingt schön – das ist doch schon mal was. Die Reise im Liegewagen dagegen ist nicht so schön, gestapelt wie die Sardinen in der Büchse liegen wir in unseren Betten, können wegen den harten Matratzen nicht schlafen. Auch aufsetzen, um zu lesen, geht nicht. Es heisst ja nicht umsonst Liegewagen. Trotzdem steigen wir am nächsten Morgen munter aus dem Zug und marschieren in Richtung Altstadt. Unsere erste Unterkunft hatten wir bereits von zu Hause aus gebucht. Die Vila Veselnova befindet sich im Diplomatenviertel etwa zehn Gehminuten vom Zentrum entfernt. Eine junge Slowenin begrüsst uns an der Rezeption und lädt uns gleich ein, zu den anderen Gästen an den grossen Frühstückstisch zu sitzen. Die Villa ist ein typisches Backpacker-Hostel, das es einem einfach macht, Kontakte zu knüpfen. Die Hostels «Balkan Backpackers» hätte es auch an unseren nächsten Reisezielen gegeben, allerdings sind sie sehr begehrt und waren jedes Mal bereits ausgebucht.

Ljubljana ist eine Studentenstadt. Die Universitäten sind seit dem Kommunismus für alle gratis und kein Politiker würde sich trauen, dieses Privileg abzuschaffen, erfahren wir später an einer Free Walking Tour durch die Stadt. Die Tour führt uns vorbei an den wichtigsten Plätzen und Gebäuden und erzählt die Geschichte des Nationalpoeten France Prešeren. Ihm wurde ein grosses Denkmal auf dem Hauptplatz der Altstadt gewidmet. Prešeren schrieb vor allem Liebesgedichte, die er seiner Julia widmete. Bei der Liebesgeschichte gab es allerdings ein Problem: Sie war noch minderjährig und er verheiratet. Die Slowenen allerdings hatten Erbarmen mit ihm und errichteten auf der anderen Seite des Platzes an einer Hausfassade eine Statue von Julia, damit die beiden sich für immer in die Augen sehen können. Über seinem Kopf sitzt übrigens seine Muse, eine nackte Frau. Die Macher hatten aber nicht bedacht, dass die Figur direktvor dem Eingang der Kirche stehen würde. So mussten damals Bäume gepflanzt werden, die den Mönchen als Sichtschutz dienten – allerdings nur während den Sommermonaten.

Abfahrt Mittwoch, 14:45 Uhr, nach Zagreb.

Zwei Tage später setzen wir uns gerade keuchend in ein Abteil, als der Zug anfährt. Ich hatte die Abfahrtszeit von 14:45 auf 15 Uhr aufgerundet, weil man sich daran besser erinnern kann – und prompt wurde es knapp. In unserem Abteil sitzt ein älteres Pärchen aus Alaska, das ebenfalls auf dem Weg nach Zagreb ist. Sie staunen über die in ihren Augen kurzen Zugstopps von jeweils einigen Minuten pro Haltestelle. Das sei doch schon recht knapp. Sie sind sich das nicht gewohnt, in Alaska gäbe es kein Zugnetz. Bei den To-Dos sind wir uns aber einig: In Zagreb muss man ins «Museum of Broken Relationships».

Zwei Künstler, einst ein Paar, sammelten Gegenstände und ihre Geschichten von zerbrochenen Liebesbeziehungen. Da steht zum Beispiel eine Axt, mit der ein Deutscher die Möbel seiner Ex-Freundin zerhackte, während sie mit ihrer neuen Flamme Ferien machte. Oder ein Uno-Spiel, das mehrmals im Irak-Krieg, in Australien und den USA war. Ursprünglich als Geschenk gedacht, erreichte es die Angebetete nie. Das Museum zeigt Freude und Enttäuschung, aber auch, dass man die schönen Momente geniessen sollte. Das tun wir – im dazugehörenden Café bei einem deftigen Stück Schoko-Minze-Tarte.

Abfahrt Samstag, 15:21 Uhr, nach Split.

Wir haben fast Halbzeit und machen uns auf Richtung Meer. Der Zug rollt vorbei an riesigen Wäldern und tiefen Schluchten, bis die Landschaft karger wird und kniehohe Steinmauern das Bild prägen. Das Landesinnere von Kroatien ist wunderschön; kein Wunder, war es Kulisse für so manchen Streifen mit atemberaubenden Naturszenen. Auf halbem Weg zur Küste befindet sich der Drehort zu Winnetous «Schatz am Silbersee». Der Film wurde an den Plitvicer Seen gedreht, einem Nationalpark mit märchenhaften Wasserfällen, unzähligen Holzstegen zwischen Wasserpflanzen und verschiedenen Teichen – und Unmengen an Touristen. Es lohnt sich, ein Stück zu laufen. Denn je weiter man sich von den Parkplätzen entfernt, desto idyllischer wird es.

Unser eigentliches Ziel ist aber Split. Das Hafenstädtchen fällt auf unserer Reise etwas aus dem Rahmen. Obwohl wir in der Vorsaison hier sind, ist es sehr touristisch. Der Kaffee an der Strandpromenade kostet das Doppelte und alles unterhält sich auf Englisch. Nach unserer Ankunft beschliessen Maria und ich, tanzen zu gehen. Der nächste Tag am Strand wäre ideal, um einen allfälligen Kater auszukurieren. Es ist Sonntag und nicht sehr viel los. Weil wir keine Ahnung haben, wohin wir gehen sollen, folgen wir «unauffällig» drei Mädels in kurzen Paillettenkleidern. Sie führen uns zum TropicalClub, ein mit neonfarben beleuchteter Gebäudekomplex mit mehreren Clubs und Bars direkt am Meer. Gegen zwei Uhr verlagert sich die Party nach draussen ans Wasser, den mehrheitlichen jungen Gästen ist schlecht und die Badeeinstiege am Meer eignen sich perfekt, um den Magen elegant zu entleeren. Zu unserem Glück gibt es auf der anderen Seite der Hafenpromenade ebenfalls Badestellen, weit entfernt von den Bars.

Abfahrt Dienstag, 20:00 Uhr, nach Ancona.

Ein lautes Hornen zeigt an, dass wir am Hafen ablegen. Um eine lange Rückfahrt zu vermeiden, haben wir uns entschieden, mit der Fähre nach Italien überzusetzen, statt weiter östlich zu fahren. Die Fähre ist nicht im Interrail inbegriffen und zusätzlich zum Ticket musste man einen Sitzplatz oder eine Kabine buchen. Wir entschieden uns für den Mittelweg und somit Sitzplätze in einem Saal mit einer Art Kino-Bestuhlung. Wir haben Glück, denn dank der Vorsaison sind nur sehr wenige Plätze belegt. Wir können uns also ausstrecken und es ist angenehm ruhig. Bequem ist es auf Dauer trotzdem nicht und wir sind früh wach. Das hat aber den Vorteil, dass wir den Sonnenaufgang an Deck geniessen können. Für einmal läuft uns kein Tourist vor die Kameralinse. In Ancona steigen wir gleich in den nächsten Regionalzug nach Bologna. In Italien darf man nur mit Intercitys fahren, wenn man zum Ticket eine gültige Reservation hat. Wir wollten flexibel sein und nahmen dafür die etwas längere Fahrt in Kauf.

Bologna ist nicht nur für das nach der Stadt benannte Credit-System der Universitäten bekannt, sondern auch für seine mittelalterliche Altstadt und viele Kirchen. Mit dem Reiseführer bewaffnet jagt mich die Geschichtsexpertin Maria durch die Kirchen der letzten tausend Jahre. Abends widmen wir uns der Neuzeit: Über Tinder Social knüpfen wir Kontakte zu italienischen Studenten. Die Gruppenfunktion der App ist ideal, um auf einer Reise Leute kennenzulernen. Mit Angelo und Antonio besuchen wir ein Konzert im Labas, einem Künstlerareal in der Altstadt, wo sich vor allem die Studierenden treffen. Tagsüber weihen sie uns in die sieben Geheimnisse von Bologna ein. Ein Fenster in einer Mauer offenbart eine Flussstrasse wie in Venedig und ein historischer Canabis-Schriftzug in einer Arkade erzählt von den Freuden vergangener Zeiten. Unsere eindrucksvollste Entdeckung bleibt aber die «Cremeria Funivare». Die Gelateria kreiert Glacés, wie wir sie uns in unseren kühnsten Träumen nicht hätten ausmalen können.

Abfahrt Sonntag, 16:38 Uhr, nach ZĂĽrich.

Die Rückreise nach fünf Tagen Bologna vergeht wie im Flug, viel zu schnell nach unserem Geschmack. Je näher wir der Schweiz kommen, desto mehr passt sich das Wetter unserer Laune an. Aber immerhin: Nur fünf Stunden Zugfahrt entfernt gibt es die göttlichsten Gelati überhaupt. Dieses Wissen wird mich durch den Schweizer Sommer retten. Hoffentlich.

Fazit: Wir reisten mit dem Interrail-Ticket für 15 Tage mit 5 Reisetagen. An vielen Orten, gerade in Slowenien und Kroatien, hätten wir günstigere Zugtickets kaufen können und wären flexibler gewesen. Die erste und letzte Zugfahrt sowie die sechsstündige Strecke von Zagreb nach Split buchten wir im Voraus. Interrail scheint sich deshalb nur zu lohnen, wenn man möglichst viele verschiedene Länder in die Route packt. Auch die Planung sollte nicht unterschätzt werden. Wir buchten unsere
Unterkünfte immer einen Tag vorher und mussten uns dadurch oft zwischen einem teuren Zweierzimmer und Massenschlägen mit zehn Betten entscheiden.

 

Dieser Beitrag ist als Erstpublikation im Brainstorm erschienen.

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