Der Herbsthimmel über Locarno ist wolkenverhangen, während wir am Empfang des Militärflugplatzes unsere Identitätskarten gegen Besucherbadges eintauschen. Momente später kommt Fanny Chollet und holt uns an der Schranke ab. Wir müssen ständig begleitet werden, die Regeln auf dem Flugplatz sind streng. Chollet (29) ist die erste Schweizerin, die einen Kampfjet fliegt. Im Moment ist sie drei Monate lang in Locarno stationiert, wo sie als Instruktorin Nachwuchsflieger an der PC-7, einer Propellermaschine zu Trainingszwecken, ausbildet. Unsere Besuchszeit ist knapp bemessen, deshalb geht es rasch in ein Schulungszimmer, wo Fanny Chollet zum Interview Platz nimmt.
Der Nickname wird jeweils von der Pilotenklasse vergeben. So muss man nicht selber einen suchen. Wir haben da einige Momente und Geschichten erlebt, aus denen sich der Name ergeben hat. Auf diese gehe ich hier nicht näher ein. Dazu kommt das Wortspiel mit meinem Nachnamen.
Die sind historisch begründet. Damals ging es darum, einen möglichst kurzen Namen zu haben für die Funkverbindung. Heute ist es mehr eine Tradition, denn jeder Flieger hat mittlerweile einen Code, die Namen verwendet man nicht mehr. Trotzdem stärken die Nicknames den Zusammenhalt in der Gruppe. Wir sind auch alle per Du. Fliege ich als Hauptmann zum Beispiel mit einem höher rangierten Oberst, gilt das genauso. Dennoch begegnet man sich mit Respekt.
Bei vielen Kampfjetpiloten ist es schon so, dass sie bereits als kleine Kinder Pilot werden wollten. Bei mir kam der Wunsch später. Während der Gymi-Zeit habe ich mich an der EPFL in Lausanne angemeldet, da ich mich für Technik interessierte. Gleichzeitig war aber auch der Pilotenberuf naheliegend: Mein Vater ist Pilot, mein Grossvater war es bereits – beide in der Businessfliegerei. Auch unter meinen Cousins gibt es Piloten. Auf die Idee der Militärpilotin hat mich meine Mutter gebracht. Sie hat mit dem Militär eigentlich nicht viel zu tun. Ich hatte mich aber schon immer für das Militär interessiert, und Kampfjets machten mir Eindruck. Es passte perfekt. Und so begann ich bereits neben dem Gymi die fliegerische Selektion bei SPHAIR. Damals war mir noch gar nicht bewusst, dass es in der Schweiz noch keine Frauen unter den Jetpiloten gab.
In diesem Job ist man nie wirklich am Ziel. Ich bin derzeit noch Wingman, werde mich dereinst aber zum Leader in der Staffel weiterbilden. Als Instruktorin kann ich ebenfalls noch dazulernen. Technik und Taktik entwickeln sich zudem laufend weiter. Hier müssen wir uns immer anpassen und auf dem neusten Stand bleiben. Gerade taktisch müssen wir auf Augenhöhe mit anderen Ländern bleiben. Und spätestens wenn wir neue Kampfjets erhalten, wartet eine neue grosse Herausforderung.
Das Schwierigste ist das Tempo. Die Ausbildung dauert lang, gleichzeitig müssen wir sehr viel auf einmal aufnehmen und umsetzen. Man hat beispielsweise jeweils ein Jahr Training auf der PC-7, der PC-21 (Propeller-Trainingsflugzeuge, Anm. d. Red.) sowie auf der Hornet (Kampfjet F/A-18). Wenn wir etwas noch nicht beherrschen, bleibt wenig Zeit, um das aufzuholen, nur ein paar Flüge. Sonst wird man abgehängt. Die Selektion ist knallhart. Die Schritte zwischen den drei Flugzeugen sind zudem sehr gross. Man muss sich beim Wechsel sehr rasch an völlig neue Bedingungen und physische Belastungen gewöhnen.
Ich schätze das Studium vor allem, weil es mir einen breiteren Horizont, ein vertieftes Wissen im Aviatikbereich und interessante technische Details vermittelt hat. Ein wichtiger Aspekt war auch das Projektmanagement. Ich denke, auch dies können viele Piloten während der Fliegerkarriere gut brauchen. Von daher ist es schon ein Vorteil, wenn man diesen Rucksack mitbringt.
Auf jeden Fall. Ausserdem bin ich froh um den Bachelor, weil ich damit Zugang zum Masterstudium erhalten habe. Ich absolviere derzeit in meiner Freizeit per Fernstudium einen Master in Aerospace Engineering am Georgia Institute of Technology in den USA.
Es gibt sicher kurze Momente, in denen man es geniessen kann. Je mehr Erfahrung man hat, desto häufiger. Auch wenn man mal im Ausland trainiert und dazu einen Überflug hat, kann es vorkommen. Manchmal habe ich unerwartet solche Momente, zum Beispiel wenn ich bei einem Nachtflug zum Leader-Flugzeug blicke und beim Anblick des Nachthimmels denke: Wow! Aber in aller Regel bleibt keine Zeit, um die Aussicht zu geniessen. Zumeist müssen wir Aufträge ausführen und dabei von A bis Z konzentriert sein. So ist das auch beim Nachtflug: Im nächsten Moment bin ich wieder voll auf das Fliegen konzentriert.
Ziel unserer Ausbildung ist, dass dies wenig passiert. Würde man beispielsweise beim Fliegen ohnmächtig, drohte direkt Absturzgefahr. Deshalb werden wir im Training an die eigenen Grenzen herangeführt, auch darüber hinaus. Wir werden zum Beispiel in komplexe Situation mit mehreren Aufgaben gebracht, die uns überfordert. So lernen wir, sehr schnell zu entscheiden und zu priorisieren. Körperlich muss man erst an die Belastungen von bis zu 7,5 g herangeführt werden. Das geht in der Zentrifuge, am besten aber beim Fliegen. In der Zentrifuge haben wir zum ersten Mal gelernt, dass wenn sich das Sichtfeld beginnt einzuschränken, wir an unsere Grenzen stossen. Dann muss man Gegenmassnahmen ergreifen. Ohnmächtig wird jemand, der sich seiner Grenzen nicht bewusst ist oder keine Erfahrung hat. Jeder muss seine Grenzen kennen.
Man muss eine grosse Verantwortung tragen können. Es braucht viel Flexibilität und damit verbunden die Fähigkeit, Entscheide zu treffen. Auch eine grosse und rasche Aufnahmefähigkeit ist zentral.
Ich habe Verständnis dafür, weil das etwas Neues ist und deshalb eine Sensation. In meinem Alltag ist es aber kein Thema, ich habe deswegen auch nie Differenzen mit Kollegen, es geht schlicht an mir vorbei. Zum Thema machen es vor allem die Medien. Mir wäre es am liebsten, wenn es gar keines wäre. Denn eigentlich gab es in der Fliegerei immer schon Frauen. Früher durften sie einfach nicht im Kampf fliegen, und in der Schweiz sind Frauen in Militärkampfflugzeugen erst seit 2004 erlaubt. Ich hoffe also, dass es mit der Zeit völlig normal wird.
Dieser Job erfordert Flexibilität, weil man je nach Einsatz mehrere Wochen oder Monate an einen Ort verlegt wird. Wie jetzt, wo ich drei Monate in Locarno bin. Meist habe ich ein bis zwei FlĂĽge pro Tag, derzeit als Instruktorin sind es zwei bis drei. Regelmässig gibt es NachtflĂĽge. Ferien gibt es grundsätzlich etwa wie in einem normalen Job, ausser dass wir den Pikettdienst oder Auslandeinsätze zum Beispiel kompensieren können. Habe ich Pikettdienst, bin ich während mehrerer Tage 24 Stunden auf Platz abrufbereit. Â
Auch wir haben soweit möglich Massnahmen ergriffen. In den Kasernen und Flugplätzen gelten die üblichen Regeln mit Abstand und Maskentragen. Im Flugzeug ist es grundsätzlich kein Problem, solange wir alleine fliegen und unsere Sauerstoffmasken tragen. In der PC-7 sind aber Sauerstoffmasken nicht zwingend. Im Doppelsitzer tragen wir dann stattdessen Schutzmasken. Administrative Arbeit wurde ins Homeoffice ausgelagert.
Die Flugplätze sind leider nicht immer unkompliziert an den Ă–V angeschlossen. Zudem ist die ganze Hornet-AusrĂĽstung mit Helm usw. gross und schwer, zudem auch teuer. Daher bin ich zwangsläufig viel mit dem Auto unterwegs. Wenn möglich reise ich jedoch mit dem Zug. Auch während des Studiums konnte ich immer mit dem Zug nach WinterÂthur, so kann man die Zeit zum Arbeiten nutzen.
Viele bleiben auch danach im Militär und übernehmen Führungsfunktionen. Ich habe da schon konkrete Projekte im Kopf, aber es wäre zu früh, darüber zu sprechen. Klar ist nur: Technisches interessiert mich auf jeden Fall. Und ich werde solange möglich immer fliegen, da dies meine Leidenschaft ist.