«Braises» – Wann wird das Kind, das man einst war, zum Erwachsenen?

Sarah Rothenberger und Estelle Gattlen
HSLU
  • 04.11.2019
  • 5 min
2013 kommt Estelle gerade von 4 Monaten Sprachreise in Kuba zurück. Sie weiss nicht, was sie in ihrem Leben machen möchte, welche Schule sie wählen soll, oder wer sie werden möchte. Ihre Freunde sind überall in Europa verstreut und scheinen ihr Leben mit beunruhigender Leichtigkeit zu leben. Sie dagegen bleibt zu Hause, mit dem Gefühl, etwas verpasst zu haben. In diesem Moment entstand die Idee von Braises. Sie wollte über diesen entscheidenden Moment zwischen Jugend und Erwachsensein sprechen, den Moment, in dem wir entscheiden müssen, was wir tun und wo wir leben wollen, auch wenn wir manchmal völlig verloren sind.

«Kennst du diesen Punkt im Leben, an dem
du realisierst, dass das Haus, in dem du
aufgewachsen bist, gar nicht mehr dein
Zuhause ist? Plötzlich, obwohl du einen
Platz hast, wo all deine Sachen sind,
plötzlich ist dieses Gefühl von Zuhause weg.
(...) Du wirst es sehen, wenn du mal
ausziehst. Es passiert einfach eines Tages
und dann ist es weg. Und du hast das
Gefühl, du bekommst es nie zuruck. Als ob
du Heimweh hast nach einem Ort der gar
nicht mehr existiert.»

(Garden State, Zach Braff, 2004)

Wann wird das Kind, das man einst war, zum Erwachsenen, der man einmal sein wird? Und was passiert in dem Moment, wo man sich wie keiner von beiden fühlt? Wenn man nicht mehr ist, ohne schon ... zu sein? Der Übergang zwischen zwei Lebensaltern ist als narrativer Moment extrem interessant und oft ein Wendepunkt des Lebens.

Sehr schnell erkannte sich Sarah in den Zweifeln und Sorgen wieder, die Estelle in diesem Jahr erlebt hat. Wir verglichen unsere Erfahrungen, Kindheitserinnerungen und Fragen und fingen an, gemeinsam zu gestalten, was unser Abschlussfilm werden würde. Für Estelle war es wichtig, dass der Film in französischer Sprache und auf Papier realisiert wird. Durch das organische Aussehen der Arbeit (Farbe, Aquarell, Farbstifte) entstehen Fehler, und die Zeichnungen leben durch sie. Für Sarah war der Fluss der Animation wichtig. Wir haben dann unsere beiden Wünsche kombiniert: auf dem Computer animiert und auf Papier sauber gemacht.

Braises erzählt die Geschichte unserer Generation. Sich zu entscheiden ist mit den unzähligen Möglichkeiten, die uns heutzutage zur Verfügung stehen, zu einer Herausforderung geworden. Wir sind die, die sich weigern, eine Wahl zu treffen. Aus Unwillen, das Leben auf eine Bahn zu lenken und es dadurch einzuschränken, aber auch aus Angst, unter all den neuen Optionen eine von den vielen Falschen zu wählen und ein Leben zu leben, das wir so nicht wollten. Das kann einschüchternd sein. Doch zu einem gewissen Zeitpunkt wird eine Entscheidung unumgänglich: Erwachsenwerden ist nicht optional.

Die Produktion unseres Films startete dann mit dem Storyboarding. Unser Prozess war eher unkonventionell, weil unsere Geschichte mehr eine Sammlung von Fragmenten ist als eine einzige lineare Story. Wir gingen dabei vor allem von Bildideen und Symbolen aus. Um unsere Gedanken zu sortieren, zeichneten wir alle diese Bildideen auf kleine Zettel, und arrangierten sie so lange in verschiedenen Kombinationen, bis wir mit der Reihenfolge zufrieden waren.

Gleichzeitig stellt man gewöhnlich zu diesem Zeitpunkt auch ein Dossier zusammen. Darin wird die Filmidee genau erklärt, alle Überlegungen dahinter, man erläutert die Produktionsplanung etc. Das schickt man dann an verschiedene Kulturförderstellen, um so sein Projekt zu finanzieren. Wir hatten das Glück, vom Schweizer Fernsehen und von Estelles Heimatgemeinde unterstützt zu werden.

Nach dem Storyboard mussten wir diese Bildfolge bereits zu einem Animatic schneiden, einer Art Filmskizze. Sobald das Timing stimmte, konnten wir mit der Animation beginnen.

Damit wir uns als Regiseurinnen-duo nicht gegenseitig auf die Füsse traten, hatten wir ein System ausgearbeitet: Estelle hatte bei Stilfragen die Entscheidungshoheit, Sarah bei der Animation.

Unser Film sieht so hangezeichnet aus, weil wir tatsächlich alle Frames mit Wasserfarbe und Farbstift gemalt und dann wieder eingescannt haben.

Die Musik konnten wir natürlich nicht selber machen, für sie arbeiteten wir mit Christoph Scherbaum, einem Theatermusiker, zusammen.

Jetzt, nach Fertigstellung des Films, sind wir dabei, ihn fleissig an verschiedene Filmfestivals auf der ganzen Welt zu schicken. Oft kann man dann auch mit seinem Film an diese Festivals reisen. Es ist sehr cool, seine eigene Arbeit, an der man monatelang dran war, auf einer riesigen Leinwand zu sehen, in einem fremden Land, und mit einem Publikum. Kürzlich hatten wir sogar das Glück, einen Preis beim renommierten Fantoche-Animationsflmfestival in Baden zu gewinnen.

Im Moment arbeiten wir in unserem gemeinsamen Atelier, zwar noch an keinem konkreten Projekt, aber zusammenarbeiten wollen wir auf jeden Fall noch öfters.

Weitere Einblicke ins Making-of und aktuelle News zum Film und Präsenzen an Festivals findest du auf unserem Instagram Account @_braises_.

Kommentare