Am Anfang stand ein kleiner Albtraum: Als Andreas Wanner Südostasien besuchte, musste er auf seinen Reisen teilweise Stunden nach einer halbwegs gepflegten WC-Anlage Ausschau halten. Dies brachte den an westliche Standards gewohnten jungen Investmentbanker ins Grübeln, denn gerade an touristischen Orten waren Toiletten meist kostenpflichtig. «Man bezahlt und trotzdem ist die Qualität schlecht», stellte er fest. Wanner dachte sich: «Das kann man besser machen» und teilte diesen Gedanken mit seinem UBS-Arbeitskollegen Dominik Schuler. Das war 2012.
Neun Jahre später haben die beiden das sichere und lukrative Business mit dem grossen Geld längst hinter sich gelassen und machen ihre Geschäfte mit – naja, dem Geschäft eben. Ihr Startup Mister Loo zählt bereits 48 Standorte und 110 Angestellte in Thailand, Vietnam, Indonesien und auf den Philippinen. Täglich besuchen 14000 Personen ihre Toiletten. Diese sind entweder modular aufgebaut oder fix installiert, etwa in Busbahnhöfen, Frisch- und Nachtmärkten oder Einkaufszentren. Sie zeichnen sich durch Wiedererkennbarkeit, Hochwertigkeit und Sauberkeit aus. Jene der Premiumkategorie mit Klimaanlage, Duftnoten und Musik kosten pro Benutzung 10 Baht, umgerechnet 30 Rappen, die herkömmlichen die Hälfte. In punkto Qualität und Sauberkeit erfüllen alle dieselben hohen Standards, die man auch aus der Schweiz kennt. Zudem sind die WCs als «Smart Toilets» konzipiert, die mittels digitalisierten Eingangs- und Bezahlsystemen Benutzerzahlen wie etwa auch den Strom- und Papierverbrauch messen. Nur so ist es möglich, mit vertretbarem Aufwand Toiletten in verschiedenen Ländern zu betreiben. Ausserdem wird das Abwasser mittels umweltfreundlichen Abwassertanks gefiltert, bevor es ins Abwassersystem geht. Nachhaltigkeit ist den beiden Unternehmern wichtig.
Eine erste Erkenntnis war, dass nicht nur Touristen, sondern vor allem die lokale Bevölkerung ein Bedürfnis nach sauberen Toiletten hat. Doch vor dem Markteintritt gab es auch sonst sehr viel zu recherchieren. 2014 kündigte Schuler deshalb, während Wanner – mittlerweile im Dienste der Deutschen Bank – nach Shanghai übersiedelte und dort vorerst weiter auf seinem Beruf arbeitete und das Startup querfinanzierte. «Wir wollten unser Startkapital nicht allein für Research verpulvern.» An einem Wochenende Ende 2015 war es so weit. Mister Loo eröffnete die erste Anlage an einem Nachtmarkt in Bangkok. «Wir hatten mit wenigen hundert Benutzern gerechnet.» Es kamen rund 1500, die Menschen standen Schlange. Wanner war völlig euphorisiert. Bereits auf dem Rückflug nach Shanghai fasste er den Entschluss, seinen Job zu kündigen, was er wenige Tage später tat.
Bis heute hat er es nie bereut, auch wenn er in den ersten Jahren kaum einen freien Tag hatte. «Bei der Bank wird immer viel von Entrepreneurship gesprochen. Gleichzeitig ist alles sehr bürokratisch und stark reguliert. Alle reden überall mit, und wenn etwas nicht gut läuft, will niemand Verantwortung übernehmen.» Wanner und Schuler wollten ausbrechen, etwas Eigenes machen, Entscheide fällen, Verantwortung tragen. Und das, obwohl sie für absehbare Zeit nur einen Bruchteil dessen verdienen, was sie als Investmentbanker einstrichen. Fernziel, wenn auch nicht Hauptantrieb, sei es, die Firma einmal zu verkaufen. Wenn Wanner über das Gefühl des Unternehmerseins erzählt, kommt er auch auf sein FH-Studium an der HWZ zu sprechen. «Neben dem theoretischen Background, der durch die Dozenten vermittelt wurde, hatten wir auch immer wieder Kurse mit Leuten, die direkt im Business waren. Wenn sie ihre Erfahrung aus der Praxis weitergaben, war ich immer fasziniert.»
Bis heute befinden sich die beiden Jungunternehmer in einem Lernprozess. Es galt, sich kulturell an die asiatischen Märkte anzupassen: «Bei uns erklärt man sein Businesskonzept möglichst detailliert und wortreich. In Asien möchten sie erst einmal Bilder sehen.» Ausserdem gelte es gewisse Regeln zu beachten. «Eine WC-Anlage, sei sie noch so sauber und gepflegt, ist neben einer Buddha-Statue undenkbar.»
Verdrängt Mister Loo nicht auch die lokale Konkurrenz, bringt Leute dort um ihre Einnahmen? «Diese Frage haben wir uns auch gestellt», meint Wanner. «Doch zum einen investieren wir in die sanitäre Infrastruktur und tragen damit zur besseren Hygiene bei – zum anderen schaffen wir Arbeitsplätze.» Einige Mitarbeitende, Techniker sowie Putzfrauen, seien bereits seit Anfang dabei. Sie würden die guten Arbeitsbedingungen schätzen. Die bisherige Konkurrenz unter Bezahltoiletten besteht vor allem aus Familien, die das meist nicht professionell betreiben. Als professionelle Anbieter von Bezahltoiletten sind die beiden Schweizer neu im Markt. «Wer aber ein neues Konzept in einem neuen Markt und einer fremden Kultur umsetzt, muss extrem viel Überzeugungsarbeit leisten.» Mister Loo konnte die Standorte anfangs nur einzeln eröffnen. «Inzwischen schliessen wir Verträge mit Konglomeraten, Kaufhausketten oder Behörden ab, die eine andere Hebelwirkung haben.» Die aktuelle Pandemie kommt Mister Loo hier zugute. Doch war Corona nicht nur ein Segen. Die Reisebeschränkungen wirkten sich auch direkt auf die Anlagen an Touristenstandorten aus. «Unser Glück war, dass die Frisch- und Nachtmärkte, die für die Grundversorgung hier essenziell sind, stets offen blieben.»
Inzwischen läuft die nächste Finanzierungsrunde. Bis 2025 wollen die ehrgeizigen Unternehmer auf 1400 Standorte ausbauen, es soll der grosse Sprung werden. Dazu sind zehn Millionen Dollar nötig.
Wanner und Schuler denken indes schon grösser: Die WCs sollen zu eigentlichen «Health-Center» weiterentwickelt werden. Heute können Benutzer bereits einen Gesundheitscheck an «Health Kiosk» machen, der Body-Mass-Index, Blutdruck und andere gesundheitsrelevante Indikatoren misst. Die Gründer sind überzeugt, dass dies erst der Anfang der Transformation ist, denn die Toiletten der Zukunft werden mittels Urinproben verschiedenste Gesundheitsparameter analysieren und auswerten. «Selbstverständlich verkaufen wir die Daten nicht einfach weiter.» Wanner macht aber keinen Hehl daraus, dass sich damit eine ganz neue Welt erschliesst. «Die Asiaten haben einen viel lockereren Umgang mit ihren Daten als wir Europäer.»
Inzwischen ist Mister Loo bekannt unter den Leuten. Die beiden Schweizer haben eine Marke aufgebaut, die sie behutsam pflegen. Dazu zählt nicht zuletzt, dass sie auch anständige Löhne bezahlen, die über dem Minimallohn liegen, was dort alles andere als selbstverständlich ist. «Dies ist unser Anspruch, gehört aber auch zu einem hochwertigen Brand», so Wanner. So kokettieren die beiden Unternehmer bereits auch mit dem Begriff «Starbucks der Toilettenanbieter».
Dieser Artikel erschien als Erstpublikation im Magazin INLINE, Ausgabe Mai 2021.