Ich bin in Kolumbien geboren und als Tochter eines Schweizer Vaters und einer kolumbianischen Mutter aufgewachsen. Der Kaffeeanbau war schon seit mehr als 120 Jahren die Haupteinnahmequelle meiner Familie mütterlicher Seite und bildete den Lebensunterhalt der letzten drei Generationen. Es war das Einzige, was wir zum Frühstück hatten und an deren blühenden und gesunden Pflanzen, wir so viel Freude hatten… In dem Moment wurde mir klar, dass ich all dies nur wusste, weil ich es täglich erleben durfte.
Mein Name ist Maite Amrein-Diaz (26). Ich bin alleinziehende Mutter, MBA-Studentin an der Fernfachhochschule (FFHS), Gründerin und CEO des Start-ups Amrein-Diaz Specialty Coffees, und stolz darauf, einer der 800 Millionen Menschen zu sein, die von der Wertschöpfungskette des Kaffees leben. Ich lade dich heute dazu ein, mit einer Tasse Kaffee meine Geschichte zu begleiten. Eine Reise in den Süden der kolumbianischen Anden, wo ich aufgewachsen bin und wo die Geschichte des Kaffees in meinen Händen beginnt.
Die ersten Jahre meines Lebens habe ich in Nariño, in einem kleinen Dorf namens Samaniego verbracht. Meine Erinnerungen an Samaniego sind voller Freude und Unschuld. Dennoch habe ich dort auch jene Seite unserer Gesellschaft erlebt, für welche Kolumbien lange Zeit bekannt war. Samaniego war und ist weiterhin eine «rote Zone» mit ernsten Problemen wie Korruption, Drogenhandel und unzureichender Sicherheitslage. Diese Umstände überschatten leider die Fruchtbarkeit der Böden, die Freude der Bevölkerung, ihre Kultur und den ausgezeichneten Kaffee.
Meine Wurzeln sind eine unzertrennliche Bindung zwischen mir, meiner Familie und unseren Traditionen. Zu sehen wie sehr sich die Kaffeebauern in dieser Region bemühen und ums Überleben kämpfen müssen, regte mich dazu an, selbst einen kleinen Beitrag zu leisten, um eine Veränderung herbeizuführen. Nach meiner Ankunft in der Schweiz im Jahr 2010, habe ich mich entschlossen eine direkte Verbindung herzustellen zwischen dem Ursprung der Kaffeebohnen, die ich selbst wachsen sah, und ihrer Destination, einer Tasse Kaffee mit dem Aroma meiner Heimat. Ende 2018 gründete ich das Unternehmen Amrein-Diaz Speciality Coffees, mit dem Ziel, den bewussten Konsum von Kaffee zu stärken. Ich möchte die Qualität, Herkunft und Geschichte unseres Kaffees hervorheben und damit die Arbeit derer würdigen, die ihn anbauen.
Ich persönlich glaube der beste Weg, die Bauern zu unterstützen und das ernsthafte Problem des tiefen Weltmarktpreises für Kaffee anzugehen, ist, die Qualität zu verbessern. Dies kann nur durch Bildung erreicht werden, weshalb wir Kaffeebauern in Konfliktgebieten kostenlose Trainings anbieten. Eines Tages, während der Vorbereitung eines Online-Kurses, las ich: «Die Kaffeeblüte ist eine phänologische Reaktion, die mit den Veränderungen der agrarmeteorologischen Variablen wie Wasserverfügbarkeit im Boden, Lufttemperatur und Sonnenschein verbunden ist». In Nariño gibt es aufgrund der Gebirgsketten eine der grössten Variationen dieser Faktoren. Ich habe über den gesamten Prozess der Unternehmensgründung nachgedacht. Ich glaube, dass das Engagement für soziale und ökologische Verantwortung viel weitergeht, als die Verwendung eines Labels. Die einzige gültige Zertifizierung ist für mich das Leben unserer Produzenten, diese zu kennen und direkt mit ihnen verbunden zu sein. Die Kaffeeproduktion ist heutzutage ein so komplexer Prozess wie die Blüte, bei der die Schönheit des Ergebnisses wahrgenommen wird, ohne aber den Aufwand für den Prozess angemessen zu berücksichtigen. Ich las weiter: «Blumen sind die Organe zur Vermehrung der Pflanzen. Blumen sind der Ursprung der Früchte, ohne Blumen gibt es keine Ernte...» Und dabei fragte ich mich: Und ohne Kaffeebauern, gibt es Blumen?
Langfristig nicht! Diese Situation ist beunruhigend, denn obwohl die Jugend heutzutage die Mehrheit der Welt ausmacht, liegt das Durchschnittsalter eines Kaffeebauern bei über 50 Jahren und nimmt jedes Jahr weiter zu. Die Kaffeeproduktion ist für junge Menschen nicht attraktiv und eine ganze Kultur ist durch dieses Phänomen bedroht. Vielleicht sind wir, die Jugend, uns nicht immer bewusst, welche Rolle wir spielen und welche Verantwortung wir für die Zukunft unserer Gesellschaft und unseres Planeten haben. Deshalb habe ich mich entschieden, diesen Samen zu pflanzen, der sich in der Arbeit unseres Unternehmens wiederspiegelt. Eine Pflanze, von der ich hoffe, dass sie gesund wächst, damit ihre Blüten andere junge Menschen motivieren, die Kaffeetradition weiterzuführen.
Und so las ich weiter: «Die Frucht des Kaffeestrauchs, die im reifen Zustand eine rötliche Farbe annimmt, heisst Kirsche». Um an diesen Punkt zu gelangen, müssen etwa fünf Jahre vergehen. Bei mir hat es fast 20 Jahre gedauert, um draufzukommen, wie wunderbar und gleichzeitig hart der Alltag auf dem Feld ist. Die Kirsche bedeutet mehr als die Frucht des Kaffees, denn sie ist auch die Frucht der Arbeit der Menschen. Es sind die kleinen Momente im Leben, wie das Lächeln eines Produzenten oder eines Kunden, die mich Tag für Tag motivieren, tatkräftig zu einer würdevollen Geschichte eines ausgezeichneten Kaffees beizutragen.
Ich bin die 5. Generation in unserer Kaffeetradition. Ich möchte nicht nur die Geschichte meiner Grosseltern erzählen, ich habe beschlossen, selber dazu zu gehören und ein neues Kapitel zu schreiben.