Als ich das Diplom in der Hand hielt, war die Freude immens. Die Hunderte von investierten Stunden Dolmetschen, die Kritik, das Lob, der Frust und die bewiesene Ausdauer haben sich schliesslich ausbezahlt. Ich war diplomiert in einem Beruf, von dem die wenigsten wissen, dass es ihn gibt und was sich genau dahinter verbirgt.
Der Einstieg in den Schweizer Dolmetschmarkt für Absolvent*innen deutscher Muttersprache mit aktivem Englisch ist gewiss nicht leicht, da die Nachfrage geringer ist als das Angebot. Vor Studiumsantritt wird deutlich gemacht, dass man ein zweites Standbein braucht und vom Dolmetschen allein nicht leben kann. Dies wird auch zwei Jahre nach der Diplomübergabe in meinem Alltag deutlich. Das Gute daran ist aber, dass man im Dolmetschstudium bereits die Möglichkeit hat, sein Netzwerk aufzubauen, da die Dozierenden einen kennen und später mögliche Auftraggeber*innen sind. So kam ich auch zu meinen ersten Aufträgen und wurde bei einer grösseren Dolmetschagentur in den Dolmetscherpool aufgenommen. Auch die Mitglieder der Dolmetscher- und Übersetzervereinigung (DÜV) sind Ansprechpersonen für Jungdolmetscher*innen.
Wenn man als Konferenzdolmetscher*in arbeiten möchte, braucht es vor allem Ausdauer, ein gutes Netzwerk und viel Fleiss, denn bei den Aufträgen, die man erhält, müssen wir auf ganzer Linie mit Qualität, zwischenmenschlicher Kompetenz und Professionalität überzeugen, damit wir den Kunden zufrieden stellen und von Kollegen geschätzt oder gar weiterempfohlen werden. Am Anfang des Monats ist mein Kalender meistens relativ leer. Deshalb bin ich umso dankbarer, dass ich mit einem flexiblen 40%-Pensum ein Nebeneinkommen habe für die etwas auftragsarmen Monate. Man sollte auch nicht vergessen, dass man zwar Biss braucht, aber nicht zu verbissen sein darf, und das Ganze mit einer gewissen Portion Gelassenheit nehmen sollte. Wenn dann aber Aufträge reinkommen, sind die Themenbereiche und Auftragsorte sehr abwechslungsreich. Von Kultur über Politik bis hin zu Finanzthemen kann alles vorkommen. Auch dies ist ein attraktiver Aspekt des Berufs, der einem Begeisterungsfähigkeit und Wissbegierde für jeden Bereich abverlangt. Das Schöne ist, dass ich nichts umsonst lerne, denn jede Art von Wissen kann in diesem Beruf nützlich sein.
Der Dolmetschberuf und -alltag ist einzigartig, aufregend und hart. Wer ein geregeltes Einkommen, Ferientage und berufliche Sicherheit braucht, wird sich mit diesem Beruf schwertun. Wen aber die Abwechslung und Unabhängigkeit reizen, für den kann es durchaus eine Überlegung wert sein. Ich würde mich jederzeit wieder für diesen Beruf entscheiden, auch in seiner jetzigen Form. Kein Tag gleicht dem anderen und ich muss immer mit Überraschungen rechnen. Solche Situationen können einem aber auch aufzeigen, welche Fähigkeiten man besitzt und dass man das Gelernte aus dem Studium wirklich anwenden kann. Dies sind die kleinen Erfolgsmomente, die diesen Beruf ebenfalls ausmachen.
Der Masterstudiengang Angewandte Linguistik mit Vertiefung Konferenzdolmetschen an der ZHAW war für mich das beste Lernerlebnis und ich verdanke den Dozierenden einen gelungenen Start ins Berufsleben. Dank meiner Mitgliedschaft bei der DÜV treffe ich sie auch immer mal wieder bei Weiterbildungen, Events oder an der Mitgliederversammlung und erweitere meinen Bekanntenkreis in dieser Berufsgruppe stetig.