Durch einen unscheinbaren Eingang in der Luzerner Altstadt geht es an einem Restaurant vorbei eine knarzende Holztreppe hoch in den dritten Stock. Man glaubt fast, sich verlaufen zu haben, überall hängen Schilder einer Sprachschule. Doch zuhinterst im Gang öffnet Florian Paul Koenig die Tür zu einem kleinen Raum. Ein Pult mit Computer, eine kleine Sitzgruppe und jede Menge an die Wand gelehnte, teils eingepackte Kunstwerke. Diese paar Quadratmeter sind das Hauptquartier von Network of Arts (NOA). Ihre Ausstellung verteilt sich im ganzen Haus über drei Stockwerke.
Florian Paul Koenig trägt Baseballmütze, Shorts und ein bedrucktes T-Shirt. Seine jugendliche Erscheinung wirkt wie ein unbekümmertes Statement gegen die gängige Vorstellung, die man von einem Kunstagenten hat. Auch das Geschäftsmodell von NOA – er spricht es als Wort aus: «Noa» – entspricht nicht dem gängigen Schema. Die Agentur bringt junge, teils sehr junge Künstlerinnen und Künstler mit Sammlern zusammen und verhilft ihnen mittels Aufträgen, Projekten und Ausstellungen zu Einkünften. Ziel ist es, langfristige Beziehungen zwischen Künster:innen und Sammler:innen aufzubauen, und nicht, kurzfristig möglichst viele Werke an den Mann oder die Frau zu bringen. Qualität vor Quantität. NOA arbeitet mit etwa 100 Kunstschaffenden zusammen, was auch so bleiben soll. «Wir wollen alle persönlich kennen», sagt Koenig. Ziel ist, nebst dem Aufbau von Beziehungen, den Kunstschaffenden einen Lebensunterhalt zu ermöglichen. Immerhin rund fünf Prozent der unter Vertrag stehenden Künstler können durch die Agentur ihren Lebensunterhalt bestreiten. Im besten Fall kann NOA die Künstlerinnen an grössere Player im Markt vermitteln, die Zugang zu grossen Ausstellungen oder Messen haben. «Wir haben nicht selber das Ziel, an Messen auszustellen.» Florian Paul Koenig pflegt ein klar umrissenes Businessmodell.
Und dieses ist einzigartig: «Ich glaube, da gibt es niemand anderen, der dasselbe macht.» Koenig sowie seine Mitbegründer Florian Rieder und Christian Klauenbösch und eine Handvoll Angestellte können mittlerweile von den Einnahmen der Agentur gut leben. «Wir haben in der ‹Hockeystick-Kurve› vor Kurzem den Bereich der Kelle überwunden, jetzt geht die Umsatzkurve hoch», freut er sich. «Hockeystick» beschreibt die Kurve der Umsatz- und Gewinnerwartung eines Jungunternehmens oder Startups anhand eines Eishockey-Stocks: anfangs flach, zeigt die Kurve nach einer Weile steil nach oben.
Grenzen überwindet die Agentur, wenn auch unsichtbare, indem sie die unterschiedlichen Welten von Künstlern und Sammlerinnen einander näherbringt: «Wir besuchen mit Sammlern die Künstlerinnen in ihren Ateliers, damit sie sich auch auf einer persönlichen Ebene kennenlernen können.» Käufer:innen schätzten das sehr. Sie könnten zwar auch selber auf Kunstschaffende zugehen, seien aber etwas gehemmt. «Viele Sammlerinnen sind ja Unternehmerinnen und haben wenig Zeit. Im Künstleratelier erhalten sie das Gefühl von Freiheit und Unbeschwertheit, welches Kunstschaffende vermitteln. Das mögen sie.» Koenig verbindet Kunstverständnis mit Geschäftssinn und Menschenkenntnis.
Gegründet hat er die Network of Arts AG zusammen mit seinen Kollegen 2019 noch während seines Masterstudiums in Fine Arts an der ZHdK. «Ich habe nach meinem Bachelorstudium selber von der Kunst gelebt und die Mechanismen des Marktes kennengelernt.» Er erlebte auch, dass viele Künstler:innen Fragen gehabt hätten. «Ich konnte Antworten geben, ihnen helfen, ihre Arbeit zu vermitteln.» Daraus ist die Agentur schliesslich entstanden. Seine beiden Mitbegründer, beides Wirtschaftsinformatiker mit FH-Abschluss, holte er ins Boot, weil er das Startup auch wirtschaftlich und digital solide aufstellen wollte. Florian Rieder kümmert sich um die Finanzen und das HR, Christian Klauenbösch um die IT.
Nebst der Förderung junger Künstlerinnen und Künstler will Koenig Kunst auch einem möglichst breiten Kreis an Interessierten zugänglich machen. Was der 30-Jährige mit T-Shirt und Baseballmütze ausstrahlt, passt zum Credo von NOA: der Kunst das Elitäre nehmen. Vielleicht hat dies auch mit seiner Herkunft zu tun. Florian Paul Koenig wuchs in der Ostschweiz in einer Familie auf, die keinerlei Berührungspunkte mit Kunst hatte. Er absolvierte eine Lehre als Geomatiker und kam mit Kunst erst spät in Berührung. Als er etwa 16 Jahre alt war, bewarb sich seine Partnerin für den Vorkurs zur HSLU – Kunst. Er unterstützte sie beim Erstellen der Bewerbungsmappe. «Das war mein Aha-Erlebnis. Ich entdeckte die Möglichkeiten, durch Kunst Meinung auszudrücken, sich mitzuteilen.» Denn wenn er etwas von zu Hause mitbekommen hatte, dann dies: eine Meinung haben.
Und wo eine Meinung, eine Aussage ist, dort ist auch Sprache. Eine emotionale Sprache, wenn es um Kunst geht. Und eine, deren Grenzen nicht entlang jenen der gesprochenen Sprache verlaufen. «Allerdings sind sie abhängig von Kulturgrenzen. Wir lesen bei uns in Europa ein Bild anders als zum Beispiel jemand in Japan.» Und doch verstehen es manche Künstler darüber hinaus mehr als andere, die Menschen individuell anzusprechen. «Es sind immer dieselben Künstler:innen, die obenaus schwingen, deren Werke gefallen.» Dies nicht, weil die Leute zwingend die Werke verstehen würden, «sondern weil sie beim Betrachten etwas empfinden». Nach einem verbindenden Element zwischen diesen erfolgreichen Kunstschaffenden gefragt, überlegt Koenig kurz: «Ich denke, es sind die positiven Emotionen, welche ihre Werke auslösen. Ob das zum Beispiel Hoffnung, Weitsicht oder Glück ist, hängt von den Betrachtenden ab. Es sind aber Gefühle, die sie vermitteln können und die universell sozusagen als Sprache funktionieren.» Dazu zähle auch die Farbgebung der Bilder: Helle Töne lösen eher positive Gefühle aus als Schwarz. Warme Farben haben eine andere Wirkung als kalte. So weit, so bekannt.
Florian Paul Koenig versteht die Kunst genauso gut wie das Geschäft. Kein Zufall. Seine Eltern hätten lieber gesehen, dass er etwas «Handfestes» studiert. Sie legten ihm keine Steine in den Weg, aber er musste sich das Studium selber finanzieren. «Ich kam dadurch mit Stiftungen in Berührung, musste Stipendienanträge stellen und lernen, mich zu vermarkten.» Diese Situation kitzelte die unternehmerische Seite aus ihm heraus. Gleichzeitig lobt er das departementsübergreifende Programm Smartup der HSLU, wo er den Bachelor absolvierte. Seit Kurzem gibt es das auch am Departement für Design und Kunst. «Ich konnte stark davon profitieren. Sie haben mir Mentor:innen gestellt und auch bei meiner Firmengründung geholfen.» So habe er über das Netzwerk Aufträge vermittelt erhalten, die ihm in der wichtigen Startphase sehr geholfen hätten.
«Rückblickend waren wir teilweise sehr naiv, haben wahnsinnig viel nebeneinanderher gemacht», zeigt sich Koenig selbstkritisch, «wir lebten über weite Strecken auf kleinem Fuss und von der Hoffnung.» Für einen Schub habe ein Beitrag der Stadt Luzern von 20000 Franken im Rahmen der Ausschreibung Kreativwirtschaft gesorgt. «Das hat uns eine gewisse Sicherheit und viel Motivation gegeben.» Stolz ist Koenig zudem, dass das Startup ansonsten nie auf Investoren zurückgegriffen hat, alles mit Bootstrapping gemacht, also die Kosten immer durch laufende Aufträge gedeckt hat. So konnte NOA stets unabhängig bleiben.
Heute macht Koenig selber keine Kunst mehr. «Es wäre höchstens noch ein Hobby, und das möchte ich nicht.» Einen Künstlernamen hat er gleichwohl, Florian Paul Koenig ist nicht sein richtiger Name. Es war mehr Pragmatismus als Allüre: «Es gibt bereits einen bekannten Künstler, der ebenfalls meinen Geburtsnamen trägt, da war die Verwechslungsgefahr zu gross.»
Dass er trotz seiner Ausbildung nicht mehr selber Kunst produziert, sieht er nicht als Makel oder Verlust. Vielmehr unterstützt NOA auch andere Kunstschaffende, einen ähnlichen Weg zu gehen. Die Agentur gibt jungen Kunstschaffenden Kurse, damit sich diese besser vermarkten, unternehmerischer denken und handeln lernen. «Das muss nicht zwingend mit ihrer eigenen Kunst sein, sondern kann auch wie bei uns eine Nische im Kunstmarkt sein. Es gibt für jede und jeden eine», ist Koenig überzeugt. Auch dass noch einiges an Potenzial brachliege. Hier nimmt er auch die Hochschulen in die Pflicht: «In meinem Bachelorstudium haben wir nie darüber geredet, wie man als Kunstschaffender sein Geld verdienen kann.» Viele würden nach dem Studium im Café im Service arbeiten gehen und das Geld, das ins Studium investiert werde, nicht mehr aus demselben Markt zurückverdienen. Er habe deshalb die Verantwortlichen dazu aufgefordert, über das Geschäftliche zu reden. «Ich habe die Hoffnung, dass das im Studium eingebaut wird.»
In der Zwischenzeit hilft Koenig den Kunstschaffenden auf seine Art. Er hat bereits mit Jan Serwart, Doktorand in Ökonomie und Finanzen, eine zweite Firma gegründet mit dem Namen NAMAC (Network & Art Market Analysis Consulting). Sie haben ein Tool entwickelt, das mittels Netzwerkanalyse den Marktwert von Künstler:innen einschätzen kann. Dazu wertet es das Instagram-Verhalten von weltweit300000 einflussreichen im Kunstmarkt aktiven Personen aus – sozusagen Kunst-Influencer. «Das lässt uns ziemlich zuverlässig den Marktwert unserer Künstler einschätzen.»
Seit zwei Monaten sind sie nun im Markt. Und es scheint zu funktionieren: «Das Tool bewertet auch jene Künstler hoch, die bei NOA nachgefragt sind.» Letztlich steckt auch dahinter ein höherer Zweck. «Es geht mit darum, die Preisentwicklung am Markt nachhaltiger zu gestalten», so Koenig. Denn zu oft verliefen die Preiskurven der Künstler sehr unstet. Allgemein sei Preisgestaltung ein Angstthema unter Kunstschaffenden. Die Angst möchte ihnen Koenig nehmen. Nebst dem neuen Tool auch mit Workshops. «Künstler müssen lernen, ihre Kunst richtig zu schätzen.» Denn so sehr beim Betrachter eines Bildes Emotionen geweckt werden sollen – beim Schreiben des Preisschildes sind sie fehl am Platz.
Dieser Beitrag ist als Erstpublikation im Magazin INLINE, Ausgabe August 2021 erschienen.