Vom Menschengärtnern

Sophie Bucher
BSc Hebamme an der BFH
  • 18.10.2024
  • 4 min
Man stelle sich mal kurz vor: Vor 1,6 Milliarden Jahren begannen die Vorfahren von Pflanzen und Tieren ein ziemlich mutiges Experiment. Sie liessen das einfache, einzellige Leben hinter sich– als hätten sie kollektiv beschlossen, dass Multitasking doch irgendwie mehr Spass macht. Also, warum nicht einfach mehrzellig werden? Der Rest ist Geschichte. Über die Jahrmillionen entstanden unzählige Arten, jede mit ihren eigenen Spezialisierungen. Heute machen wir uns keine grossen Gedanken darüber. Pflanzen sind Pflanzen, Tiere sind Tiere. Als angehende Hebamme sehe ich das ein wenig anders. Pflanzen und Menschen haben mehr gemeinsam, als man auf den ersten Blick denkt. Klingt schräg? Ja, vielleicht. Lasst mich erklären.

Nehmen wir die Embryogenese– die frühe Entwicklung eines Lebewesens. Klar, auf den ersten Blick: Unterschiede ohne Ende. Ein p anzlicher Embryo ist minimalistisch. Er ist e zient aufgebaut und darauf ausgelegt, massenhaft produziert zu werden, ohne viel Aufhebens. Eine P anze kann sich das leisten. Der menschliche Embryo hingegendas ist eine komplexe Sache. Aber wenn dieser Plan einmal durch ist, steht das Grundgerüst. Alles, was es braucht, um ausserhalb der Gebärmutter zu überleben, ist da– es muss nur noch reifen.

Doch es gibt nicht nur Unterschiede. Die spannendsten Gemeinsamkeiten ndet man dort, wo man sie vielleicht nicht vermutet. Sowohl p anzliche als auch menschliche Embryonen entwickeln sich nicht nach Zufall oder Laune. Beide folgen festen Regeln, die in der Fachsprache als Musterbildungsprozesse bezeichnet werden. Bei P anzen geht es zuerst um die apikal-basale Achse (also oben und unten), dann um die radiale Achse (innen und aussen) und schliesslich um die bilaterale Achse (rechts und links). Bei uns Menschen klingt das dann etwa so: cranial-caudal, medial-lateral, anterior-posterior. Aber im Grunde ist es dasselbe Spiel. Hormone spielen ebenfalls ihre Schlüsselrolle. Bei einer P anze sorgt Auxin dafür, dass Blätter und Blüten entstehen. Beim Menschen ist das Anti-Müller-Hormon mit am Start und entscheidet, ob das Baby am Ende ein Bube oder ein Mädchen wird. Gleicher Grundgedanke, unterschiedliche Bühne.

Aber der spannendste Punkt für uns ist der: Sowohl Pfanzen als auch Menschen können sich nur dann entfalten, wenn die Bedingungen stimmen. Keine P anze wächst im Dunkeln, kein Mensch gedeiht ohne Nahrung. Meine Aufgabe also? Eine gute Menschengärtnerin zu werden. Jemand, der weiss, wann er am besten düngt und wann er bewässert, wie er Schatten spendet und Licht. Als zukünftige Hebamme will ich lernen, wie ich den Raum scha e, in dem Frauen und Paare Vertrauen in ihre eigenen Fähigkeiten gewinnen können. Wie ich sie darin bestärke, auf diese tief in ihnen schlummernden Drehbücher zu vertrauen, die schon ziemlich lange ziemlich zuverlässig ablaufen. Alles geschieht nach einem gewissen Schema, und manchmal nimmt sich die Natur dann dochein paar kreative Freiheiten. Genau dort liegt diese feine Balance, die ich als Hebamme nden muss: zwischen Eingreifen und Loslassen, zwischen Wissen und Vertrauen.

Bis ich die beherrsche, übe ich an meinen p anzlichen Schützlingen. Sie sind geduldige Lehrmeister. Diesen Sommer haben sie endlich Nachwuchs bekommen– meine Aloe vera ist zum ersten Mal Mama geworden. Und ja, klar, unterstützt habe ich sie schon. Viel Licht und regelmässig etwas Wasser. Aber den Rest- den hat sie ganz gut alleine hinbekommen.

SCHREIBWETTBEWERB UNTER FH-STUDIERENDEN

Dieser Artikel wurde von Sophie Bucher, Studentin BSc Hebamme an der BFH verfasst und am Schreibwettbewerb von FH SCHWEIZ eingereicht.

Dem Gewinner bzw. der Gewinnerin winken 1000 Franken. Noch bis Ende November kann für die Texte mittels Likebutton gevoted werden. Zeitgleich vergibt eine Jury zwischen 1-10 Punkte. Die Gewichtung des Öffentlichkeits-Voting und jener der Jury ist 1:1. Im Dezember wird der oder die Gewinner:in kommuniziert.

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