Nehmen wir die Embryogenese– die frühe Entwicklung eines Lebewesens. Klar, auf den ersten Blick: Unterschiede ohne Ende. Ein pflanzlicher Embryo ist minimalistisch. Er ist effizient aufgebaut und darauf ausgelegt, massenhaft produziert zu werden, ohne viel Aufhebens. Eine Pflanze kann sich das leisten. Der menschliche Embryo hingegen - das ist eine komplexe Sache. Aber wenn dieser Plan einmal durch ist, steht das Grundgerüst. Alles, was es braucht, um ausserhalb der Gebärmutter zu überleben, ist da– es muss nur noch reifen.
Doch es gibt nicht nur Unterschiede. Die spannendsten Gemeinsamkeiten findet man dort, wo man sie vielleicht nicht vermutet. Sowohl pflanzliche als auch menschliche Embryonen entwickeln sich nicht nach Zufall oder Laune. Beide folgen festen Regeln, die in der Fachsprache als Musterbildungsprozesse bezeichnet werden. Bei Pflanzen geht es zuerst um die apikal-basale Achse (also oben und unten), dann um die radiale Achse (innen und aussen) und schliesslich um die bilaterale Achse (rechts und links). Bei uns Menschen klingt das dann etwa so: cranial-caudal, medial-lateral, anterior-posterior. Aber im Grunde ist es dasselbe Spiel. Hormone spielen ebenfalls ihre Schlüsselrolle. Bei einer Pflanze sorgt Auxin dafür, dass Blätter und Blüten entstehen. Beim Menschen ist das Anti-Müller-Hormon mit am Start und entscheidet, ob das Baby am Ende ein Bube oder ein Mädchen wird. Gleicher Grundgedanke, unterschiedliche Bühne.
Aber der spannendste Punkt für uns ist der: Sowohl Pflanzen als auch Menschen können sich nur dann entfalten, wenn die Bedingungen stimmen. Keine Pflanze wächst im Dunkeln, kein Mensch gedeiht ohne Nahrung. Meine Aufgabe also? Eine gute Menschengärtnerin zu werden. Jemand, der weiss, wann er am besten düngt und wann er bewässert, wie er Schatten spendet und Licht. Als zukünftige Hebamme will ich lernen, wie ich den Raum schaffe, in dem Frauen und Paare Vertrauen in ihre eigenen Fähigkeiten gewinnen können. Wie ich sie darin bestärke, auf diese tief in ihnen schlummernden Drehbücher zu vertrauen, die schon ziemlich lange ziemlich zuverlässig ablaufen. Alles geschieht nach einem gewissen Schema, und manchmal nimmt sich die Natur dann doch ein paar kreative Freiheiten. Genau dort liegt diese feine Balance, die ich als Hebamme finden muss: zwischen Eingreifen und Loslassen, zwischen Wissen und Vertrauen.
Bis ich die beherrsche, übe ich an meinen pflanzlichen Schützlingen. Sie sind geduldige Lehrmeister. Diesen Sommer haben sie endlich Nachwuchs bekommen– meine Aloe vera ist zum ersten Mal Mama geworden. Und ja, klar, unterstützt habe ich sie schon. Viel Licht und regelmässig etwas Wasser. Aber den Rest- den hat sie ganz gut alleine hinbekommen.
Dieser Artikel wurde von Sophie Bucher, Studentin BSc Hebamme an der BFH verfasst und am Schreibwettbewerb von FH SCHWEIZ eingereicht.
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