Als ich 2010 in Mels SG mit meiner Lehre als Zeichner Fachrichtung Architektur begann, war es bereits mein festes Ziel, einst ein Bachelorstudium in Architektur zu absolvieren. Damals, mit meinen 16 Jahren, war ich noch sehr zufrieden, wenn ich einen Werkplan 1:50 korrekt zeichnen oder ein Standard-Detail einer Konstruktion frei aus dem Kopf skizzieren konnte. Von Architektur verstand ich noch nicht viel. Doch nach dem Studium - da war ich mir sicher - würde ich alle nötigen Fähigkeiten erlernt haben und am Ziel angekommen sein.
Im Bachelorstudium an der FH Graubünden erhielt ich dann einen umfassenden Einblick in die vielen Facetten der Architektur, wobei es oft um ganz neue Fragestellungen ging – für mich eine eigentliche «Horizonterweiterung». Das Gelernte aus der Lehre wurde nur noch Mittel zum Zweck, um übergeordnete architektonische Ideen zu erreichen. Wiederum war ich deshalb sehr zufrieden, wenn mir ein Projekt gelang, das in sich «stimmig» war. Doch ahnte ich bereits, dass ich auch jetzt nur an der Oberfläche kratzte. Mein Erfahrungsrucksack und mein Verständnis waren einfach noch zu klein, um die Tiefe, respektive Tragweite bestimmter Fragestellungen und Problematiken zu erfassen. So blieben teilweise auch Aussagen von Dozenten für mich ein Rätsel.
Als ich dann im Sommer 2019 mein Studium abschloss und meine Stelle als Wissenschaftlicher Mitarbeiter antrat, konnte ich das Studium von der anderen Seite sehen: Einsichten in die Hintergründe einzelner Module unterstützten mich stark in der Selbstreflexion über meine eigene Studienzeit und halfen mir in meiner weiteren Entwicklung. Nach wie vor gibt mir die hohe Vielfalt und Diversität der Arbeiten an der FH Graubünden, wie Modellbauen, Wettbewerbsbegleitungen, das Zeichnen und Erarbeiten eines Baumemorandums, das Mitarbeiten an einer ISOS-Abwägung und anderes, mehr auf eine abwechslungsreiche und spannende Art tiefe Einblicke in vielerlei grundlegende Themen und Aufgaben. Plötzlich erlangen Fragen zur Ortsbild- und Siedlungsentwicklung, zur Architekturethik in einem gebauten Umfeld, zu Abwägungen im Spannungsfeld zwischen Baukultur und technischem Fortschritt, zwischen Gesellschaftsgeschichte und neuen Bedürfnissen der Gesellschaft eine ungeahnte und viel höhere Bedeutung. Das erlernte Architekturverständnis des Bachelorstudiums stellt sich nur als Grundwerkzeug und Ausgangspunkt zum Verständnis und zur Weiterentwicklung dieser grundlegenden Themen dar.
An der FH Graubünden herrscht ein reger Wissensaustausch zwischen den Mitarbeitenden. Durch die aufliegenden neusten Fachzeitschriften werden Kenntnisse über neue Entwicklungen und technische Errungenschaften aus aller Welt zum Gesprächsthema. Aus den teils tiefgehenden Diskussionen am Znüni-Tisch oder den Fachgesprächen am Arbeitsplatz rund um die zu erarbeitenden Projekte ergeben sich laufend neue Erkenntnisse, welche nicht nur mich und das Institutsteam weiterbringen, sondern auch in die Lehre der Studierenden mit einfliessen. Selbst wenn die Studierenden – es scheint mir schon ewig her, seit es mir selbst so ging - die Hintergründe und Zusammenhänge des Gesagten oft noch nicht richtig einordnen können, behalten sie das Gehörte meist «im Hinterkopf» und werden dessen Bedeutung eines Tages verstehen. Genauso wie ich heute durch den steten Austausch und mein erweitertes Wissen die damaligen Entscheidungen und Argumente der Dozenten viel besser verstehen und einordnen kann.
Das familiäre Arbeitsklima unter den Mitarbeitern schätze ich ausserordentlich. Anfangs war es schon etwas seltsam, als meine ehemaligen Dozenten plötzlich zu meinen Arbeitskollegen wurden. Doch war diese Rollenverteilung schnell vergessen und ich wurde als vollwertiger Mitarbeiter gut im Team integriert. Wenn es ein Problem gibt, steht man füreinander ein und zieht am gleichen Strick. So werde ich immer wieder auch bei Unwissenheit sofort von allen mit den nötigen Kenntnissen ausgerüstet. Gibt es mal Unstimmigkeiten, sind diese nach den gemeinsamen «z’Nüni-» und «z’Vieri-Pausen» oder auch mal nach einem monatlichen Feierabendbier schnell wieder vom Tisch.
Momentan absolviere ich berufsbegleitend den Master in Architektur an einer Universität. Es ist ein wechselseitiges Spiel. Ich kann die neu gewonnen Erkenntnisse aus dem Studium bei der Arbeit an der FH Graubünden anwenden und umgekehrt mein stetig wachsendes Wissen aus den Projekten und Diskussionen in mein Studium einfliessen lassen. Ohne die FH Graubünden würde ich nicht dort stehen, wo ich heute stehe. Sie hat mir über die letzten Jahre meinen Erfahrungsrucksack mit verschiedenstem Know-how auf verschiedensten Ebenen immer weiter gefüllt und mich geprägt. So auch meine Auffassung und Handhabung von Architektur, welche ich nun im Masterstudiengang weiter vertiefen kann. So gesehen, ist meine Tätigkeit an der FH Graubünden ein lernendes Arbeiten, das mich Tag für Tag in meiner persönlichen Entwicklung unterstützt und weiterbringt.
Ich bin gespannt, was die nächsten Jahre noch alles bringen!
Dieser Beitrag wurde als Erstpublikation auf dem Blog der Fachhochschule Graubünden publiziert.