Für diese Ausgabe des «Brainstorm Magazin» begebe ich mich auf eine Hot-Mission: In bester James-Bond-Manier spioniere ich unter Lebensgefahr die Hörsäle von verschiedenen ZHAW-Departementen aus. Auf meiner Reise werde ich es mit klaustrophobischen Anfällen, toten Füchsen und Hipstern zu tun haben. Den Anfang macht das Technikum im Herzen der Winterthurer Altstadt.
Es ist ein bitterkalter Abend Mitte November, als ich mich auf den Weg zum Departement T mache. Unterwegs passiere ich die Bars und Restaurants von Winterthur, in der sich die Studierenden und Arbeiter der Stadt bereits mit Glühwein und Raclette aufwärmen. Im Technikum angekommen, brauche ich eine gefühlte halbe Stunde und mehrere Gespräche mit den Putzfrauen, bis ich mir endlich Eintritt in den grossen Hörsaalverschaffen kann. Als ich den Saal betrete, schiessen mir plötzlich abstrakte mathematische Vergleiche durchs Gehirn. Ein spontanes «Heureka» platzt aus meinem Mund und ich fange an, die Stühle des Hörsaals abzuschrauben und emotionsgesteuerte Drohnen aus ihnen zu basteln. Nach zehn Minuten und dem Entsenden meiner Drohnenarmee in die Mission des Weltfriedens beruhige ich mich langsam wieder und fange an, den Hörsaal objektiv zu bewerten. Das erste, das mir ins Auge sticht, ist das prunkvolle DJ-Pult in der Mitte des Raumes, das von einem begabten Künstler mit einem stattlichen Phallus verschönert wurde. Hach, dieser jugendliche Bubenhumor. Ich setze mich in die hinterste Reihe und stelle mir das illustre Treiben der Buntfaltenhosen und Mittelscheitel tragenden Technik-Freaks vor, die normalerweise in den Bankreihen vor mir von ihrem ersten Mal träumen und nebenbei der ewigen Frage nachgehen, als was sich dieses schizophrene X nun wieder ausgibt. Wie man munkelt, soll dies der Originalgangster Albert Einstein hier schon getan haben. Einem kann man sich sicher sein: Abgelenkt wurde er durch die langweiligen weissen Wände und die Trostlosigkeit des Raumes nicht. Höchstens durch das gelegentliche Knacken von zersplitternden Hüftknochen, wenn gerade wieder einmal eine Person mit einem BMI über 20 versucht hat, sich in die vorderen Reihen zu quetschen.
Ich spüre, wie mein linkes Ohr anfängt zu säuseln und werte dies als Anfang eines klaustrophobischen Anfalls. So beschliesse ich, das Technikum zu verlassen und mich in die Hallen des Departements W zu begeben. Zur mentalen Vorbereitung genehmige ich mir noch einen (oder auch zwei). Es gilt nämlich, meine Angst vor aufgepumpten, Ralph-Lauren-Polos tragenden Hengsten, die sich in den Wirtschaftsstudiengängen tummeln, zu überwinden. Voll mit alkoholinduziertem Mut betrete ich das Kolosseum, in dessen Mitte sich die metallene, einer fliegenden Untertasse gleichende Aula befindet. Begeistert ab der architektonischen Ausgefallenheit dieser Konstruktion gehe ich voller Erwartungen in den Raum, nur um festzustellen, dass er leer ist. Die Aula wird hier nur für Vorträge von zu gut verdienenden Firmenvertretern verwendet, die Studierenden müssen sich mit anderen Räumen begnügen. Also suche ich weiter. Nach Absprache mit dem Sekretariat und der Wegbeschreibung eines KV-Lehrlings, der so wirkte, als würde er lieber Fidget-Spinner-Tutorials auf Youtube produzieren, finde ich mich traumatisiert im ersten Stock des Gebäudes wieder. Hastig suche ich online nach dem Spendenformular von Greenpeace, denn auf dem Weg in den ersten Stock bin ich gefühlt dem gesamten Bestand an Schweizer Füchsen begegnet. Dies würde mich normalerweise erheitern, wären die herzigen Füchsli nicht tot als Wärmespender an der Kapuze von Winterjacken befestigt worden. Komische Leute, diese Wirtschaftsstudierenden. Der Hörsaal entpuppt sich dann als ziemlich langweilig. Kleiner als im Technikum hat er denselben Charme wie Klobürsten: gar keinen. Auf engstem Raum müssen sich 120 Studierende samt ihrer im Fitnessstudio antrainierten 40er-Bizepse und dem daraus resultierendem Riesen-Ego mit komplizierten Wirtschaftsfragen auseinandersetzen. Dass diese nicht gerade spannend sind, beweisen die zahlreichen Kritzeleien auf den hölzernen Tischreihen. Während mich die Frage beschäftigt, ob Tischkritzeleien die evolutionäre Nachfolge von Höhlenmalereien sind, stosse ich auf einen leergelöffelten Low-Fat-Joghurt und eine Geschenkkarte für Intersport. Ich sehe mich in all meinen Vorurteilen bestätigt und beschliesse, Schluss zu machen für heute.
Da das Beste bekanntlich zuletzt kommt, ist der Hörsaal des Departements Angewandte Linguistik, also meines, tags darauf an der Reihe. Nur einen Katzensprung vom Wirtschaftsgebäude entfernt, versprüht unser Departement denselben Charme wie ein 68er Ford Mustang: sehr viel. Regenbogenfurzende Studierende, Schokoladenfontänen so hoch wie das Gebäude, eine Mensa mit 3 Michelin-Sternen, Legi-Aufladegeräte, die immer funktionieren und Sitzplätze so gross und komfortabel wie in der First-Class-Abteilung eines Airbus A380. Es ist schön, Kommunikationsstudent zu sein. Ein harter Schlag trifft mich am Hinterkopf, ich wache auf und bemerke, wie ich nach Atem ringe. Jemand schiebt meinen Stuhl nach vorne und murmelt etwas Unverständliches in seinen ellenlangen Hipsterbart. Fuck, da bin ich wohl kurz eingenickt. Die Vorlesung, in der ich mich befinde, dauert sicher schon eine Stunde. Der Sauerstoffgehalt des Raumes bewegt sich irgendwo im einstelligen Bereich. Fenster gibt es dank der hervorragend gewählten Lage im Keller keines. Dafür rote Wände. Ob den Malern bewusst war, dass die Farbe verdammt aggressiv macht? Zwei Beamer gibt es auch, die alles doppelt auf die Wand projizieren, damit man während der Vorlesung wenigstens das Gefühl erhält, betrunken zu sein. Ich halte den Sauerstoffentzug nicht mehr aus und will an die frische Luft. Das Aufstehen gleicht einem Twister-Spiel: Rechtes Bein auf den Tisch hinten links, linke Hand auf den Boden, dann Rückwärtssalto und den Hipsterbart des neuen Nachbarn als Liane verwenden. Puh, geschafft.
Der Test hat gezeigt: Ich bin schlecht im Hörsäle vergleichen. Nichtsdestotrotz stehen Hörsäle im grossen Ranking der schlimmsten je erfundenen Dinge ziemlich weit oben, noch vor Pizza Hawaii und der «Bachelor». Deswegen teilen sich alle Räumlichkeiten in diesem Test den guten letzten Platz.
Dieser Artikel erschien als Erstpublikation beim Brainstorm.