Bauen ohne Leim und Stahl? Das funk­tio­niert.

Wie stabil ist ein leim- und stahlfreier Holzträger? Bachelorstudent Bauingenieurwesen (FHGR) Sandro Schmid hat das untersucht. Er hat vier unterschiedliche Holzträger auf ihre Biegsamkeit getestet, um die optimale Bauweise für ein spezielles Bauwerk zu finden: Ein Schulhaus ohne Leim und Stahl.

Die Studierenden des Bachelorstudiums Bauingenieurwesen haben im Fach «Projektarbeit Hochbau» den Auftrag erhalten, ein Schulhaus zu bemessen. Student Sandro Schmid hat es sich zur Aufgabe gemacht, das Schulhaus aus leimfreiem Vollholz ohne Stahlverbindungen zu bauen. Ein ungewöhnliches Vorhaben, bei dem die eigentliche Herausforderung vorwiegend bei den liegenden Bauteilen besteht, die durch die Biegung beansprucht werden. Heutzutage werden liegende Holz-Bauteile miteinander verleimt. So entstehen fast schon beliebig hohe Träger, die für eine geringe Durchbiegung bei hohem Biegewiderstand sorgen. Nun gilt es zu untersuchen, wie hoch der Biegewiderstand bei leim- und stahlfreien Holzträgern ist.

Am 7. Dezember 2022 fand der Laborversuch dazu im Baulabor der Fachhochschule Graubünden statt. Sandro Schmid testete vier Holzträger, bei denen er konsequent auf Leim verzichtet hatte: ein Vollholzquerschnitt, eine verschraubte Variante, eine horizontal verdübelte Variante und eine vertikal verdübelte Variante. Die Laborversuche sollten aufzeigen, welche Variante optimal ist für den leim- und stahlfreien Holzbau.

 

Erkenntnisse aus den Laborversuchen

In der Vorbereitung für die Versuche ermittelte Sandro zuerst prozentuale Querschnittswerte für die geprüften Holzträger. Der Vollholzquerschnitt, der als Massstab galt, konnte so mit dem ermittelten Prozentwert multipliziert werden und man erhielt die Werte des Verbundträgers. Diese Werte zeigten deutlich: Es herrschte kein voller Verbund zwischen den zusammengesetzten Bauteilen – es waren Systeme mit teilweisem Verbund.

Wie biegsam waren die vier Holzträger? Der verschraubte Holzträger schnitt nach dem Vollholz-Träger am besten ab. Dicht gefolgt von der vertikal verdübelten Variante. Die horizontal gedübelten Systeme (System Nägeli) schnitten mit grösserem Querschnitt sehr gut ab. Aber mit Vorbehalt: Wenn man diese Systeme auf vergleichbare Querschnitte runtergerechnet hätte, wären sie schneller als die anderen drei Varianten gebrochen. Das zeigten die Versuche.

Der grosse Vorteil des Nägeli-Systems ist aber, dass die Träger bis zu Höhen von 3.60m hergestellt werden können. Die meisten Versuche hat Sandro aber nur einmal durchgeführt. Das heisst, es bestehen noch Unsicherheiten. Der Naturbaustoff Holz hat mit seinen unterschiedlichen Baustoffeigenschaften im Labor eine grosse Streuung. «Würden wir die Versuche nun mehrmals wiederholen, könnten wir detaillierte Schlüsse ziehen und die Querschnittswerte exakt bemessen», so Schmid.

Was bedeuten die Resultate?

Aus den Versuchen resultiert, dass ein Verbund mit Holzdübeln nicht so leistungsfähig ist wie ein Verbund mit Leim. Aber er sorgt für viele Vorteile. Man kann ein Vollholzquerschnitt C24 100/200 von der Leistung her ungefähr mit einem vertikal verdübelten Querschnitt mit den Dimensionen 100/260 vergleichen. Das heisst: Mit gering grösserem Materialaufwand kann beim Schulhausbau somit ganz auf Stahl und Leim verzichtet werden. «Diese Erkenntnis begeistert mich am meisten», schwärmt Schmid.

Für das Schulhausprojekt werden nun überall Zwillingsträger – zwei gleiche Träger nebeneinander – eingesetzt. Weil bei allen Trägern im Schulhaus die Durchbiegung massgebend ist, wird mit zwei Trägern die Durchbiegung kleiner sein als bei den fürs Vorprojekt berechneten Vollholzquerschnitten.

Nachhaltiger und einfacher bauen

Der Grund für diese Versuche ist simpel – es geht um Nachhaltigkeit. Wie sich Häuser auf naturschonende Weise bauen lassen. Es geht um zwei wichtige Aspekte: die regionale Herstellung und die Wertschöpfung. Das Holz für die Träger kann für die leim- und stahlfreie Bauweise aus nahen gelegenen Wäldern gewonnen werden und lokale Betriebe

können sie direkt herstellen und verbauen. So herrscht keine Abhängigkeit durch Lieferanten aus dem Ausland. Zudem ist die Produktion der Träger einfacher: Mit wenig Werkzeug – mit Bohrer und Hammer – kann der Holzträger mit vertikal verdübelten Balken im Werk oder auf der Baustelle hergestellt werden. Der Holz-Holz-Verbund ist mechanisch und somit sehr langlebig. Nicht bewitterte Verbindungen halten so mehrere tausend Jahre. Und sie können zerlegt und wiederverwendet werden. Nachhaltiger geht’s nicht.

Dr. James Glover, Projektleiter Institut fĂĽr Bauen im alpinen Raum (IBAR)

Dieser Artikel ist als Erstpublikation auf blog.fhgr.ch erschienen.

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