Der Auswanderer

Daniel Amsler lebt seit 17 Jahren in Finnland. So geplant war das nicht. Auch der Start war nicht leicht. Inzwischen möchte er aber auf sein Leben im Norden nicht mehr verzichten.

Warum Finnland? In der Statistik erscheint das skandinavische Land mit den vielen Seen nicht gerade als beliebtestes Ausreiseziel der Schweizer. Daniel Amsler ist gemäss BFS einer von nur 1759 Schweizer Staatsbürgern, die 2018 dort ihren Wohnsitz hatten. In Schweden sind es knapp 6000. In Frankreich, dem Spitzenreiter unter Auslandschweizern, gar fast 200 000. Die Antwort könnte schlicht lauten: Warum nicht? Finnland hat jedenfalls viel an Lebensqualität zu bieten, wie Daniel Amsler zu berichten weiss.

Schwierige Arbeitssuche

Amsler sitzt in seinem Wohnzimmer in Helsinki vor dem Laptop und erzählt via Skype von seinem Abenteuer, das inzwischen längst keines mehr ist. Wie so oft war es die Liebe, die einen Menschen dazu bewog, seine gewohnte Umgebung zu verlassen. Man hatte sich an der FHNW kennengelernt, wo er Business Administration studierte und sie ein Jahr als Austauschstudentin verbrachte. Danach sammelte er bei seinem Ausbildungsbetrieb, der Neuen Aargauer Bank, nochmals etwas Berufserfahrung, sparte Geld. «Ich war ziemlich unbekümmert, habe den grössten Koffer, den ich fand, gepackt, die wichtigsten Formalitäten erledigt und bin dann los», erzählt er. Eine Wohnung musste er nicht kündigen, da der heute knapp 42-Jährige noch bei seinen Eltern lebte. «Erst dachte ich, das sei eine Sache von vielleicht zwei Jahren, inzwischen sind es bereits 17.» In dieser Zeit ist einiges gegangen. Er ist Vater einer Tochter geworden und macht beruflich Karriere in der Finanzbranche im Bereich der Prävention von Finanzkriminalität.

Der Einstieg damals in die finnische Berufswelt war allerdings harzig. Der Aargauer brachte zwar ein FH-Diplom sowie Berufserfahrung mit. Doch in Tampere, wo er die ersten Jahre lebte, hatte der Arbeitsmarkt auf Exoten wie ihn nicht gewartet. «Die Arbeitslosigkeit betrug 15 Prozent, auf Englisch waren kaum Stellen ausgeschrieben.» Also widmete er die ersten fünf Monate, in denen er auf Arbeitssuche war, der finnischen Sprache. Schliesslich kam er bei einem Subcontractor der Firma Nokia unter, wo er bis 2008 blieb. «Dort arbeiteten Menschen aus über 70 verschiedenen Ländern. Es war eine interessante Zeit.» Nur gab es dort kaum Finnen. Also konnte er seine Finnischkenntnisse nur zu Hause oder in der Freizeit anwenden. Eine Sprache, die mit ihren 15 verschiedenen Fällen als äusserst schwierig gilt. «Dafür kennt sie keine Präpositionen. Diese werden durch die Fälle praktisch ersetzt, was die Sache wiederum relativiert.» Trotzdem war, gerade auch beim Wortschatz, viel Disziplin gefragt. Oder wie Amsler sagt: «Büffeln, büffeln, büffeln.»

Seit 2009 lebt er nun in der Hauptstadt und hat sich mittlerweile so sehr an das Land, die Leute und die Vorteile gewöhnt, dass eine Rückkehr in die Schweiz derzeit kein Thema ist. Gerade was flexible Arbeitsmodelle und die Vereinbarkeit von Beruf und Familie betrifft, lobt er das finnische System. «Ich kann zwar nicht beurteilen, wie es heute in der Schweiz aussieht. Aber bereits als ich hier zu arbeiten begann, war Homeoffice eine Selbstverständlichkeit.» Subventionierte Krippenplätze sind garantiert. «Dafür bezahle ich gerne mehr Steuern», sagt er mit einem Schmunzeln.

Auch das nordische Volk mit seinen Eigenheiten ist dem Wahlfinnen ans Herz gewachsen. «Smalltalk ist hier nicht sehr verbreitet», nennt Amsler ein Beispiel. «Wenn dich ein Finne fragt, wie es dir geht, dann erkundigt er sich ernsthaft nach deinem Wohlbefinden und erwartet eine Antwort.» Anders als bei Englischsprachigen, wo «Hi, how are you doing?» nicht mehr als eine Begrüssungsfloskel ist. Gleichzeitig mag Amsler die entspannte Haltung in Sachen Pünktlichkeit. «Wenn man um 18 Uhr eingeladen ist oder einlädt, dann heisst das irgendwo zwischen 18 und 19 Uhr. Vor allem wenn man Kinder hat, sind die Finnen sehr tolerant.» Dies gelte wohlgemerkt im Privaten. «In der Geschäftswelt ist man pünktlich und zuverlässig.» Ehrlichkeit ist eine weitere finnische Eigenschaft, die Amsler schätzt. «Wenn man im Tram das Portemonnaie liegen lässt, kann man davon ausgehen, dass man es wieder zurückbekommt.»

Der Wert der FH-Ausbildung

Die berufliche Situation von Daniel Amsler präsentiert sich mittlerweile ganz anders als zu Beginn: Seit einem Jahr ist er bei der OP Financial Group als Head of Financial Crime Prevention tätig. Das Unternehmen ist sozusagen das finnische Pendant zur Raiffeisen-Bank. Hier muss er erstmals im Beruf Finnisch gut beherrschen. Also hat das Büffeln sich doch gelohnt. Aber nicht nur deshalb: «Letztlich ist es auch eine Anstandsfrage, dass man die Sprache des Gastlandes lernt.»

Dennoch ist seine berufliche Karriere in Finnland keineswegs eine Selbstverständlichkeit in einem Land, das eine viel höhere Tertiarisierung kennt als die Schweiz. Die Berufsbildung beispielsweise habe eine andere Bedeutung und kaum dasselbe Ansehen wie in der Schweiz. «Deshalb habe ich bei Bewerbungen in meinem Werdegang die Berufslehre auch nicht herausgestrichen.» Obwohl er durchaus noch heute von den damals gemachten Erfahrungen zehre. Auch die FH-Ausbildung kommt ihm im finnischen Berufsalltag zugute: «Ein grosser Pluspunkt ist, dass sie fächerübergreifend breit abgestützt war. Und ich komme mit sehr unterschiedlichen Menschen und verschiedenen Themen zurecht, was ich ebenfalls auf das vielseitige FH-Studium zurückführe.»

Sommerabende am See mit Sauna

Zum Schluss muss noch ein Thema auf den Tisch: die finnische Saunakultur. Doch, doch, bestätigt er, auch bei geschäftlichen Anlässen sei es durchaus gang und gäbe, dass man danach noch in die Sauna gehe. «Bei ganz formellen Treffen zwar nicht, doch unter Businesspartnern oder bei Kaderanlässen durchaus.» Amsler ist in dieser Hinsicht ebenfalls bereits ganz Finne und möchte das gesellige Schwitzen nicht mehr missen. Für ihn finnische Lebensqualität pur: «Ein lauer Sommerabend in der Natur an einem See, mit einem Bier in der Hand und einer Sauna – einfach herrlich!»

Dieser Beitrag ist als Erstpublikation im Magazin INLINE vom Mai 2019 erschienen.

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