Als ich im Sommer 2020 einmal wieder drinnen am Computer sass, weil ich im Sommer lieber drinnen surfe statt am Meer – mir ist die Sonne einfach viel zu heiss inzwischen (also wenn sie denn auch scheint) und ich verabscheue Sonnencreme – da führte mich mein digitaler Wellenritt auf die Insel von Coop Bau + Hobby. Dort stiess ich auf eine reizende Anzeige, die für das aktuelle Sommerangebot warb. Abgebildet war da eine erlesene Auswahl saisonaler Produkte; meisterhaft in eine sterile Gartenszenerie gephotoshopt: eine aufblasbare Schwimmente, eine Strandliege, ein Pool, ein Gasgrill und … eine Buddhafigur. Eine Buddhafigur? Na gut, wenn irgendwer pure Gelassenheit repräsentiert – und das ist es ja was mensch sich vom idealen Sommer erhofft – dann sicher Buddha. Aber brauche ich mir, um gelassen zu sein, tatsächlich so einen Reminder in Form einer Kunststoffattrappe vor die Hütte zu pflanzen? Naja, vielleicht dann, wenn mir selber die Zeit und Ruhe fehlt, um mich in mir selber zu versenken und mich an nichts anderem als dem blossen Dasein zu ergötzen. Kein Wunder. Wird ja auch immer schwieriger in dieser rastlosen Welt, wo dir jeden Tag zig neue Möglichkeiten vorgeschlagen werden, wie du dein Leben noch schöner, besser, nachhaltiger und interessanter gestalten kannst. Da bleibt nicht mehr viel Aufmerksamkeit übrig zum Innehalten, Durchatmen und sich auf das Wesentliche zu konzentrieren.
Glücklicherweise ist dieses Problem inzwischen auch von gestern, da uns der Markt nebst dem ganzen Stress, den er verursacht, auch gleich die Gegenmittel liefert und damit auch solche zur Befriedigung der spirituellen Bedürftigkeit. Dies macht uns jedenfalls eine breit angelegte Palette von Produkten glauben, zu der nebst besagter Buddha-Gartendeko allerlei Selbsthilfebücher, karmapotenzierende Aurasocken, achtsamkeitsunterstützendes Haaröl, vegane Meditationskäsealternativen und Instant-Glückseligkeit ohne Palmöl von noch glückseligeren Bauer*äuerinnen aus irgendeinem Fantasyland auf der anderen Seite des Planeten zählen. Schöne neue Welt. Da bleibe ich gerne zuhause und schaue in die Röhre, um die Welt zu sehen, die mir am besten gefällt.
Als es im darauffolgenden Frühjahr 2021 darum ging, ein Thema für mein Abschlussprojekt des Studiengangs Illustration Fiction zu finden, da hatte ich meines also schon. Das war mir aber zu dem Zeitpunkt noch nicht bewusst, oder wenn dann nur schemenhaft. Zumindest wusste ich aber, dass ich gerne einen Comic zeichnen würde. Comics und surreale Fiktionen insbesondere interessieren mich schon lange. Wohl weil ich immer wieder den Eindruck habe, sie mögen mir gewisse Dinge besser erklären als irgendwelche Zahlen und Fakten. Nichts gegen die Errungenschaften von Wissenschaft und Informatik. Wie wollte ich den surfen und arbeiten ohne Computer? Aber eine ausschliessliche Deutung der Welt durch Sammeln und Auswerten von Daten halte ich für unzureichend.
Ein anderer, mir etwas vertrauterer Zugang bieten uns Erzählungen, Mythen und Bilder. Mit ihnen lassen sich zwar keine Marslandungen planen und auch zum Gewinn von Solarenergie taugen sie wenig. Dafür ermöglichen sie uns eine intime Auseinandersetzung mit ganz grundlegenden Fragen des Daseins, die Menschen unerachtet der technologischen Entwicklungen der vergangenen Jahrhunderte in unterschiedlichsten Zeiten und Kulturen plagen und auf die es wiederum keine eindeutige Antwort gibt.
Durch das Zeichnen aber auch gefärbt von meiner vorausgehenden theoretischen Arbeit begann über die Entwicklung von Charakteren, Handlungen und Handlungsorten eine Geschichte zu entstehen. Eine Geschichte, die sich eben mit den anfangs erwähnten Themen befasst. Mein Arbeitsprozess bestand also nicht nur in der Suche nach Inhalt und Form einer gefälligen Bilderzählung, sondern auch in einer Art Erkenntnis dessen, was mich allgemein aber auch gerade am Gestalten selbst interessiert. Es ist dies, etwas zu kreieren, das man selber erst dann versteht, nachdem man es gemacht hat und einen Schritt zurück steht, um es von aussen zu betrachten und darauf zu reagieren; eine Art Selbstanalyse. Ein Dialog zwischen Unbewusstem und Bewusstem.
Leider (oder glücklicherweise) hat der zeitliche Rahmen der Bachelorarbeit nicht ausgereicht, um das Projekt in Form einer fertig ausgeführten Publikation abzuschliessen. Was ich abgegeben habe, das ist ein 116-seitiges Storyboard und eine erste Serie von 16 farbig umgesetzten Seiten. Das schien allerdings auszureichen, um einen Förderpreis der zeugindesign Stiftung entgegen nehmen zu dürfen, was mich umso mehr darin ermutigt, das Projekt fortzuführen und schliesslich zu vollenden. So habe ich einen guten Grund, auch diesen Sommer, oder das was von ihm übrig bleibt, drinnen zu verbringen – mit Bleistift und Fineliner über Papier gebeugt, ohne Sonnencreme.