Freundschaften fürs Leben gefunden

Basel, Berlin, Budapest – Sarah Chaksad tritt in halb Europa auf und gehört zu den führenden jungen Jazzmusikern der Schweiz. Gleichzeitig ist sie bodenständig und geerdet, für sie ist «Musikerin» ein Beruf wie jeder andere. Das FH-Studium in Basel habe sie extrem geprägt, wie sie erzählt.

Die ersten Takte spielt nur der Bass, das Klavier setzt ein, darüber folgen Motive auf der akustischen Gitarre, die Trompete gesellt sich dazu. Das Stück kommt ins Fliessen, verdichtet sich, bleibt gleichzeitig entspannt und stimmt versöhnlich. Es heisst «Tabriz» und stammt vom gleichnamigen Jazzalbum, das letzten Herbst erschienen ist. Es ist das zweite Album von Sarah Chaksad und ihrem Sarah Chaksad Orchestra. Die 36-Jährige verkörpert den neuen Schwung, der derzeit durch die Schweizer Jazzszene geht. Mit ihrem Orchestra in Big-Band-Besetzung erobert sie derzeit die Jazzclubs im In- und Ausland. Zwischen ihren Konzerten findet sie Zeit für ein Gespräch, erscheint dazu im Jazzcampus Basel.

Der Umweg

Aufgewachsen ist sie ursprünglich im Aargau. Musik umgab sie bereits zu Hause von früh auf. Ihre Mutter ist klassisch ausgebildete Sopranistin und unterrichtete zu Hause. Chaksad entschied sich für das Saxofon, und während der Gymizeit rückte die Musik auch für sie als Berufswunsch in den Vordergrund. «Es war für mich etwas völlig Normales, damit sein Geld zu verdienen», sagt sie. Ob Musik etwas «Handfestes» sei oder nicht, daran dachte sie gar nie.
So nahm alles seinen Lauf: Während des Gymnasiums besuchte sie den Vorkurs an der Jazzschule Bern. Und dann folgte das Musikstudium? Nein. «Es klingt vielleicht komisch, aber ich wollte zuerst gar nicht Musik studieren. Ich wollte etwas machen, womit ich schneller in den Arbeitsmarkt gelange.» Sie ging deshalb an die Pädagogische Hochschule Bern. Der Gedanke, nach sechs Semestern Studium als Lehrerin arbeiten zu können, reizte sie. Dem Saxofon blieb sie auch in dieser Zeit treu. So treu, dass sie dann doch bereits während des PH-Abschlusses die Aufnahmeprüfung zur Jazzschule in Baselabsolvierte. Und bestand. «Zum Glück!», wie sie sagt. Denn an den Jazzcampus der FHNW und der Musik-Akademie Basel, da wollte sie hin. Der Saxofonist und Dozent Domenic Landolf hatte es ihr angetan. Und auch die weltoffene Kulturstadt Basel mit ihrer Grenznähe schätzt Chaksad. «Sie bietet für ihre international eher bescheidene Grösse auf kultureller Ebene wahnsinnig viel. Gerade auch die Jazzszene hat sich in den letzten Jahren stark entwickelt», schwärmt sie. Die Stadt am Rhein ist seit dem Studium auch ihr fester Wohnsitz.  

Studium hat sie geprägt

Mit dem Studium fing für Sarah Chaksad gewissermassen eine neue Zeitrechnung an. «Es hat mich in verschiedener Hinsicht sehr stark geprägt», sagt sie rückblickend. «Ganz allgemein schätzte ich die geballte Kompetenz.» Sie profitierte ungemein davon, mit den Idolen ihres Fachs in einem Raum zu stehen, mit ihnen zu arbeiten. Eine zentrale Figur war auch der argentinische Komponist und Arrangeur Guillermo Klein, der sie dazu ermuntert hat, ihr Orchester zu gründen. Bis heute ist er für sie ein Mentor, auf den sie zurückgreifen kann. «Ich konnte musikalisch und menschlich extrem von ihm profitieren.» Auch unter ihren Mitstudierenden und Mitarbeitern am Jazzcampus hat sie Freundschaften fürs Leben gefunden, «beruflich wie menschlich». Das Studium sieht sie bei Weitem nicht als Einbahnausbildung. «Die Ausbildung an einer Musikhochschule ist extrem vielseitig und erfordert Eigenschaften wie Selbstdisziplin oder Reflexion – Fähigkeiten, die auch für andere Berufsfelder sehr wertvoll sind.»
Das Studium beendet hat sie schliesslich 2013 mit dem Master in Pädagogik. Als Mitarbeiterin bleibt sie ihrer Ausbildungsstätte treu: Sie leitet zusammen mit Wolfgang Muthspiel das sogenannte Focusyear Jazz der Musik-Akademie Basel.  Hier wird eine kleine Gruppe ausgesuchter Studierender von Topmusikern gecoacht und gefördert und erhält diverse Auftrittsmöglichkeiten im Ensemble. Chaksad engagiert sich bewusst neben ihrer eigenen Musik im Nachwuchs. «Ich kann auch hier unheimlich viel für mich dazulernen, die Kombination zwischen meiner eigenen Musik und der Tätigkeit im Jazzcampus ist spannend.»
Fokussiert erzählt Sarah Chaksad. Sie weiss, was sie will. Ob in Bezug auf ihren Werdegang oder ihre Musik. Will sie auch etwas aussagen? «Alle sagen mit ihrer Musik automatisch etwas aus, Musik steht nie im luftleeren Raum, sondern immer in einem Kontext.» Ihr sei es wichtig, ihre so rüberzubringen, dass sie nur ein Teil davon ist. «Wir möchten den Moment, die Emotionen teilen. Jede Musikerin und jeder Musiker ist bei mir gleichberechtigt. Das ist meine Message.» Beim Jazz müsse man sehr gut aufeinander hören, damit eine Improvisation entstehen kann. «Man kann die Komponenten dieses Gefüges lernen. Alle können etwas beitragen, aber alle müssen am selben Strang ziehen. Eine Botschaft, die ja auch für unsere Gesellschaft gilt.»

Die Geschlechterfrage

Ja, die Jazzwelt werde noch immer zu sehr als Männerwelt wahrgenommen. Zu diesem Schluss kommt Sarah Chaksad ganz einfach deshalb, weil ihr die Frage noch immer gestellt wird. Auch hier wieder. «Für mich ist es eigentlich überhaupt kein Thema. Ich habe in meinem Umfeld nie direkten Sexismus erlebt.» Und doch gibt es immer wieder Hinweise zum Rollenverständnis in den Köpfen: «Beim Soundcheck kommt es manchmal vor, dass ich gefragt werde, wo ich singen möchte.» In der Schweiz seien die Instrumentalistinnen im Jazz in der Unterzahl. Chaksad ortet die Gründe in geschlechterspezifischen Vorstellungen, die bereits früh greifen würden: «Mädchen sollen eher Geige oder Flöte lernen, die Buben eher Schlagzeug oder Trompete.» Und an den Schweizer  Jazzschulen sind sämtliche Instrumental-Hauptfachdozenten Männer. «Wir sind von einem ausgeglichenen Geschlechterverhältnis weit entfernt.» Sie stellt es nüchtern fest. Es ist keine Anklage, und sie mag es auch nicht, wenn man beim Gender­thema in Schuldzuweisungen verfällt. Sie tut lieber konkret etwas für den Ausgleich. So hat sie 2017 etwa das International Female Musicians Collective mitbegründet. Dieses führt professionelle Jazzmusikerinnen länderübergreifend zusammen und stärkt ihre Position in der Szene.

Die schönsten Momente

Daneben verfolgt Chaksad fast unermüdlich noch weitere musikalische Projekte und tritt in verschiedensten Besetzungen auf. Die prägendsten Momente freilich erlebt sie nicht auf der Bühne, sondern fernab des Rampenlichts. Etwa wenn die Musiker ihres Orchesters aus allen Himmelsrichtungen zusammenkommen. «Für meine Band reisen sie aus den USA und halb Europa an, wir treffen uns vielleicht nach einem halben Jahr wieder zum ersten Mal, um gemeinsam Musik zu machen.» Dieses Zusammenkommen sei jeweils der schönste Moment. «Ich sehe die Liebe und das Engagement der Musiker, mit welchem sie meine Musik zum Leben erwecken. Dies miteinander zu teilen, ist wunderbar.»
Was daraus entsteht, ist auf «Tabriz» zu hören. Das Album ist nach der Grossstadt im Iran benannt, aus der ihr Vater stammt. Die Musik darauf verbindet Motive aus der persischen Volksmusik mit Jazzelementen. «Für mich war die Arbeit daran gewissermas­sen eine Forschungsreise, da ich ja noch nie im Iran war. So konnte ich auf sehr freie Art meinen eigenen Zugang zu dieser Kultur finden.»

Offen und in Bewegung bleiben

Wieder blitzt eine gewisse Nüchternheit auf in den Worten von Chaksad, die mit ihrer Musik kontrastiert.  Wie auch in der Antwort auf die Frage nach dem ultimativen Ziel, einem «Traum»: «Den gibt es eigentlich nicht.  Ich erhoffe mir einfach, dass ich mich mit meiner Arbeit ständig weiterentwickle und nicht stehen bleibe. Ich möchte offen und in Bewegung bleiben. Das ist mein Ziel.»

Dieser Artikel erscheint als Erstpublikation im Magazin INLINE von Februar 2020.

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