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Während ihrer Zeit als Rektorin der Akademie der Künste in Stuttgart hat die Bernerin Barbara Bader das deutsche Hochschulsystem kennen und schätzen gelernt. Als Rektorin der Hochschule Luzern bringt sie diese Aussensicht mit ein. Und sie scheut sich nicht zu sagen, was hier aus ihrer Sicht derzeit nicht gut läuft. Sanft im Ton, klar in der Aussage.
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Barbara Bader: Stereotypen sind attraktiv – und auch ein wenig gefährlich. Was ich sagen kann: In Deutschland gibt es eine Debattenkultur, die mit Leidenschaft gepflegt wird. Ich habe das genossen. Was ich zudem gut fand: Wenn etwas zu Ende diskutiert ist, dann gilt das Ergebnis, es zählt. In der Schweiz nähert man sich viel mehr einem Kompromiss an. Danach bleibt oft noch ein gewisser Graubereich übrig. Diese Spielräume werden genutzt.
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Das gehört dort dazu. Die erste Positionierung geschieht in der Öffentlichkeit. Danach bewegt man sich diskursiv auf eine Position zu, die mehrheitsfähig ist. In der Schweiz läuft diese erste Positionierung versteckter. Man ist eher zurückhaltend und will sich durch öffentliche Äusserungen nichts verbauen. Manchmal ist es aber gut, die Interessen gleich auf den Tisch zu legen. Dieses Prinzip versuche ich auch hier anzuwenden und spreche wo nötig auch mal den Elefanten im Raum an.
Ich spreche, wo nötig, auch mal den Elefanten im Raum an.
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Primär die Hochschulsteuerung: In Deutschland vertritt die Politik die Ansicht, dass die Aufgaben der Hochschulen qua Hochschulgesetz ausreichend geklärt sind und dass sie wissen, was zu tun ist. Alle fünf Jahre werden zudem Leistungsvereinbarungen festgelegt und analog dazu die Finanzierung. Man stellt seine Forderungen, kommt zusammen, der Kuchen wird aufgeteilt. Danach arbeitet man fünf Jahre grösstenteils autonom. Klar: Man muss Auftrag und Geld im Griff haben.
Hierzulande werden die Fachhochschulen an kürzerer Leine geführt, zumindest politisch. Ich beobachte eine eng getaktete Zusammenarbeit zwischen Trägerkantonen und Hochschulen. Der grösste Unterschied aber liegt für mich in der Organisation. In Deutschland sind Hochschulen wie politische Gebilde aufgebaut: Der Senat als Legislative trifft die Entscheidungen, als Rektorin – das heisst als Exekutive – hatte ich diese umzusetzen. Schweizer Fachhochschulen werden hingegen über Linien geführt, wie ein Unternehmen sozusagen. Hier entspricht meine Funktion eher der einer CEO.
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Ausschlaggebend ist der Skill-Grade-Mix, also die Passung zwischen Qualifikationsniveaus und den Bedarfen des Werkplatzes. Wir sehen in der Schweiz seit Anfang des 20. Jahrhunderts eine parallele Entwicklung von technologischen, wirtschaftlichen und bildungsbezogenen Entwicklungen. Daher betrachte ich sie positiv.
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Die Stereotypisierung der Akademisierung in der Schweiz wird ähnlich strapaziert wie jene der Deutschen: Wir haben eine gymnasiale Maturitätsquote von gut 20 Prozent, inklusive Berufs- und Fachmatura sind es nicht einmal 45 Prozent, ein vergleichsweise tiefer Wert. Genauso ist es ein offenes Geheimnis, dass wir derzeit in der Schweiz nie alle benötigten Arbeitskräfte selber stellen können.
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Laut SECO braucht der Werkplatz Schweiz im Bereich «skilled labour» zusätzliches Personal – notfalls auch aus dem Ausland, wenn in der Schweiz nicht genügend vorhanden ist. Ein weiterer Faktor: die anstehende Pensionierungswelle der geburtenstarken Jahrgänge. Diese müssen ersetzt werden. Es geht also nicht um Einwanderung per se.
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Kinder und Kindeskinder der «Gastarbeiter»-Generation haben durch unser Bildungssystem einen Aufstieg erlebt. Und sie leisten damals wie heute einen wesentlichen Beitrag zum Wohlstand in der Schweiz.
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So ist es. Der Grossteil unserer Studierenden stammt nicht aus einem akademischen Elternhaus. Mit einer Ausnahme: In den künstlerischen Studiengängen läuft der Weg meist über die gymnasiale Matura und dort ist der Anteil an Eltern mit akademischem Bildungshintergrund höher. Wer nicht aus einem solchen Elternhaus stammt – und dazu gehören viele Menschen mit Migrationshintergrund – wird eher den Weg via Lehre und Berufsmatura an eine FH einschlagen. Wir müssen deshalb Sorge tragen, dass die Berufslehre nicht an Attraktivität verliert. Nicht nur in den klassischen BM-Berufen, sondern über die gesamte Berufepalette hinweg.
Wir müssen deshalb Sorge tragen, dass die Berufslehre nicht an Attraktivität verliert.
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Ja. Das ist eine erschreckende Zahl. Aus Sicht der Fachhochschulen gilt es hingegen zu differenzieren: Sind es LĂĽcken in den acht Berufen, aus denen 75 Prozent der Berufsmaturand:innen stammen? Gott sei Dank nicht. Was mir eher Sorgen bereitet, ist die BM-Quote in der Zentralschweiz. Sie liegt deutlich unter dem Schweizer Durchschnitt von gut 16 Prozent.
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Ja, das ist richtig und wichtig. Gleichzeitig soll aber die Höhere Berufsbildung mit den Titelzusätzen «Professional Bachelor» und «Professional Master» gestärkt werden. Das setzt falsche Anreize für potenzielle Berufsmaturand:innen. Warum sollen diese eine vierjährige Berufslehre, ein Jahr BM und dann noch drei Jahre FH absolvieren, wenn man nach der Lehre mit etwas Berufserfahrung und 800 Stunden beruflicher Weiterbildung den Titelzusatz «Bachelor» tragen darf? Die BM wird dadurch weniger attraktiv.
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Zu allererst schwächen die neuen Titelzusätze die Königsdisziplin der Berufsausbildung mit Berufsmatura. Auch suggeriert «Professional Bachelor» fälschlicherweise einen Abschluss auf Hochschulniveau. Es ist ganz klar kein Hochschul-Titel, klingt aber so. Das bereitet mir Sorgen.
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Nein, Sorgen mache ich mir eher um ausreichend qualifizierten Nachwuchs und um den Schweizer Arbeitsmarkt. Gemäss Arbeitgeberverband mangelt es an besonders spezialisierten Fachkräften mit einer entsprechenden Hochschulqualifikation, etwa in der Automatisierung, im Bauwesen oder der Energiebranche.
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Das ist der Umgang im professionellen Kontext. In Deutschland ist man grundsätzlich per Sie. Bis eine Bildungsministerin einer Rektorin, oder auch eine Rektorin einem Professor das «Du» anbietet, braucht es viel Zeit – wenn es denn überhaupt jemals dazu kommt. In der Zentralschweiz, die sehr informell gestrickt ist, boten mir alle Regierungsrätinnen und -räte sogleich das «Du» an. Das wäre in Deutschland unvorstellbar.
Ursprünglich zur Lehrerin ausgebildet, erlangte Barbara Bader an der Universität Oxford einen Master sowie ein Doktorat in Kunstgeschichte und Visual Studies. Nach leitenden Funktionen an der Zürcher Hochschule der Künste ZHdK und an der Berner Fachhochschule wurde sie 2013 als Professorin für Kunstdidaktik und Bildungswissenschaften an die Staatliche Akademie der Bildenden Künste Stuttgart berufen. 2017 wurde sie dort zur Rektorin. 2022 kehrte sie in die Schweiz zurück, wo sie nun als Rektorin der Hochschule Luzern amtet.
Neu erscheinen im Monatsrhythmus Beiträge auf der Newsplattform watson, die aus unserer fhnews-Redaktion (betrieben von FH SCHWEIZ) stammen. Darin geht es um Trends in der praktischen Aus- und Weiterbildung, sowie Arbeit und Karriere – jeweils anhand von Persönlichkeiten mit FH-Bezug. Du findest die Beiträge im Blog «Top Job» auf watson. Ergänzend dazu gibt es hier Tipps und Wissen zu diesen Themen.
Barbara Bader ĂĽber das neue Studienangebot der HSLU im Bereich Gesundheit. Mehr ĂĽber die GrĂĽnde, die Umsetzung und den riesigen Ansturm in der Zentralschweiz!
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