Im Rahmen des Bachelor-Studiums in Wirtschaftsingenieurwesen an der OST (Ostschweizer Fachhochschule) arbeiten alle Studierenden über fünf Semester intensiv mit Unternehmen aus dem industriellen Sektor zusammen. Wir trafen dabei im Herbst 2018 auf das Arbeitsheim für Behinderte Amriswil (ABA), welches als wirtschaftsnaher Sozialbetrieb in den verschiedensten Bereichen tätig ist, unter anderem in der Schreinerei, Gastronomie und Gärtnerei.
In den frühen Projektphasen identifizierten wir zusammen mit dem Industriepartner verschiedene spannende Potenziale für neue Produkte und Dienstleistungen. Der Industriepartner wollte ein neues und innovatives Produkt im Bereich Holzfertigung entwickeln. Da ABA bereits Unterrichtsmöbel für Kindergärten herstellte, recherchierte wir im Bereich moderner Unterrichtsformen und stiessen dabei auf das Churer Schulmodell, das vorsieht, Schulzimmer radikal umzubauen und fixe Arbeitsplätze für die Schülerinnen und Schüler abzuschaffen. Das inspirierte uns zum Bau eines Hocker-Regals für einen dynamischen Unterricht auf Stufe Primarschule.
Nach einigen intensiven Semestern ist aus dieser Idee in Zusammenarbeit mit ABA ein flexibles Hocker-Regal entstanden, das sich an modernen und zukünftigen Unterrichtsmethoden orientiert. Das Regal setzt sich aus mehreren Einheiten zusammen, die jeweils aus einem Hocker und zwei Rako-Kisten bestehen. Das Herzstück ist der Hocker. Er ist etwa zweieinhalb Kilogramm schwer und 34 Zentimeter hoch und kann so gut auch von den Primarschülerinnen und -schülern getragen werden. Die Rako-Kisten dienen als Stauraum. Die eine befindet sich auf dem Boden der Einheit, die andere auf der Ablage. Die Anzahl Einheiten pro Regal ist frei wählbar, das heisst, es kann auf jede Klasse individuell angepasst werden.
Im Sommer 2020 wurde das Hocker-Regal als Prototyp gemäss unseren Konstruktionsplänen und Mengenlisten von Mitarbeitenden des Industriepartners gefertigt. Da die Holzverarbeitung eine Kernkompetenz des Unternehmens ist, besteht das Hocker-Regal vorwiegend aus Holz. ABA kann mit dem Produkt ein neues Standbein aufbauen. Dies, ohne grosse zusätzliche Investitionen zu tätigen, da das Regal nahe am bisherigen Leistungsangebot liegt.
Seit Anfang des Schuljahrs 2020/21 testet eine Primarklasse mit 22 Schülerinnen und Schülern ein komplettes Hocker-Regal. Dabei wird der Einsatz im laufenden Schulbetrieb sowie die Integration des Regals in den Unterricht beobachtet und dokumentiert. Die ersten Feedbacks der Lehrpersonen sind sehr positiv und das Regal konnte nach den Tests sogar bereits definitiv an die Primarschule verkauft werden.
Als angehende Wirtschaftsingenieure, die allesamt das Studium in Teilzeit absolvieren, sehen wir grosses Potenzial in unserem Industrieprojekt. «Mit dem neuen Produkt begehen wir ein neues Zeitalter in der Schul- und Kindergartenmöblierung. Mobilität, Flexibilität und Multifunktionalität sind Attribute des neuen Möbels für eine freie und dynamische Unterrichtsgestaltung.» meint auch Daniel Brunner, Geschäftsleiter bei ABA.
Das Industrieprojekt ist eine Lehr- bzw. Lernform, bei der technische und betriebswirtschaftliche Kenntnisse aus dem klassischen Unterricht in realen Aufgabenstellungen aus der Praxis angewendet werden können. Die Abfolge des Industrieprojekts orientiert sich an der Wertschöpfungskette von industriell gefertigten Produkten oder Dienstleistungen.
Wir Studierende entwickeln dabei in Kleingruppen Lösungsansätze und Entscheidungsgrundlagen von der Potenzialfindung über die Produktkonzeption, den technischen Entwurf, den Bau und das Testen von Prototypen bis zur Planung und Vorbereitung der Serienfertigung. Das Industrieprojekt stellt für uns Studierende einen wichtigen Teil des Studiums dar und wird mit 20 ECTS gewichtet. In der praktischen Anwendungen erlangten wir wichtige Erfahrungen und Kompetenzen in der Projektleitung und arbeiteten über 2.5 Jahre intensiv mit einem Unternehmen zusammen. Auch Daniel Brunner ist von der Zusammenarbeit begeistert: «Wir sind an der OST auf ein junges, engagiertes und äusserst dynamisches Team getroffen. Wir haben uns gegenseitig inspiriert.» Nun hoffen wir, dass auch unser Produkt bei den potenziellen Kunden unseres Industriepartners auf ähnliche Begeisterung stossen wird, so dass das Hocker-Regal den zukünftigen Unterricht an Primarschulen nachhaltig revolutionieren kann.