Memento Mori

Mikko Kahi
Student Datascience an der Fachhochschule Nordwestschweiz
  • 20
  • 21.10.2024
  • 5 min
«Mama kommt nach Hause! Mama kommt nach Hause!» Amitta rennt wie wild aus ihrem Zimmer, Herr Knuddels fest umklammert in ihrer linken Hand. Die Räder des Familienwagens knirschen schon über die Einfahrt, also bleibt ihr nicht mehr viel Zeit, als sie im Badezimmer verschwindet, und die Türe mit einer Mischung aus Panik und Eifer hinter sich zuknallt ....

 

Mit zittrigen Fingern wendet sie sich, getrieben von Zeitnot, dem bis an die Decke reichenden Spiegel zu. Sie atmet kurz ein, und unterdrückt sogleich einen Würgereiz, als beissend-säuerliche Verwesungsdämpfe in ihre Nase schiessen. «Herr Knuddels! Wir brauchen Nadel, Faden und Leim!» Der Plüschbär nickt, und zieht die verlangten Gegenstände aus seiner Gürteltasche. Sogleich versucht er in hilfsbereitem Eifer, den Faden einzufädeln, worauf Amitta das Werkzeug kichern aus seinen Plüschpfoten pflückt. «Lass mich. Wir haben nicht viel Zeit. Ich brauche Haare, Wangen und den ganzen Kleinkram.»

Mit einem erneuten Nicken greift Herr Knuddels zurück in seinen Beutel. Diesmal zieht er unterschiedlich grosse, undefinierbare Fleischstücke heraus, welche vorsichtig auf der Badewannenkannte neben dem Spiegel aufgereiht werden. Daneben stellt er ein grosses Glas, gefüllt mit einer Vielzahl kleiner, glänzender Steinchen. Zur selben Zeit umklammert Amitta den Schwamm neben dem Waschbecken, und beginnt, rigoros an ihren Wangen zu schrubben. Unter einer dicken Farbschicht kommen lose, kaum noch zusammenhängende Hautfetzen zum Vorschein, welche an diversen Stellen rudimentär zusammengeklebt oder genäht wurden. Nicht selten fehlen kleinere und grössere Fleischstücke, und zu Amittas Entsetzen ist an ihrem Unterkiefer nun sogar ein feucht glänzender Knochen zu sehen. «Das sieht nicht gut aus, Herr Knuddels.» Amitta wirft einen besorgten Blick Richtung Fenster, doch noch hat sie die Haustüre nicht gehört. Ohne lange zu zögern, pflückt sie das erstepste Stück von der Badewanne, und hält es an die klaffende Wunde. Es passt nicht perfekt, aber für jetzt muss es reichen.

Herr Knuddels ist bereits zur Stelle, und hält den Klumpen still. Amitta greift nach dem Leim und spritzt eine grosszügige Portion in die fleischige Spalte. Dabei ist sie äusserst vorsichtig, dass ihr Plüschfreund nicht in Mittleidenschaft gezogen wird. Sobald das neue Stück halbwegs feste sitzt, greift sie Nadel und Faden, sowie einige der frei hängenden Hautfetzen, und beginnt, diese, wie im Textilunterricht gelernt, zusammenzunähen. Die Prozedur dauert länger als geplant, doch glücklicherweise hatte sie ihre Mutter noch immer nicht eintreten hören.

«Sieht soweit gut aus.» Amitta nickt zufrieden, und öffnet nun das zur Verfügung gestellte Glas. Was zunächst wie Steine gewirkt hat, entpuppt sich nun als eine Ansammlung von Nägeln und Zähnen. Ungeduldig wühlt Amitta durch den Haufen, bis sie schliesslich zwei Fingernägel und eine Handvoll Zähne aus dem Glas zieht. Mit brutaler Effizienz werden Nägel und Zähne an ihren jeweiligen Platz gerammt.

«Wir sollten soweit fertig sein, Herr Knuddels. Es fehlt nur noch der Feinschliff.» Während der Plüschbär das Glas, die Nähutensilien, und das restliche Fleisch zurück in seinen Beutel räumt, packt Amitta nach Pinsel und Wasserfarbe. Mit hastigen Bewegungen überdeckt sie offene Wunden, Blessuren, Nähte, und sonstige Verwesungszeichen, und beendet die Maskerade schliesslich mit einem grosszügigen Spritzer elterlichen Parfüms. Der Prozess ist gerade rechtzeitig beendet um die zuschlagende Haustüre zu hören.

«Mama! Mama!» Amitta stolpert ins Wohnzimmer, wo sie prompt ihrer Mutter in die Arme fällt. “Ich habe dir eine Überraschung vorbereitet! Warte kurz.” Sie stellt Herrn Knuddels ihrer Mutter vor die Füsse, und verschwindet wieder um die Ecke, bevor die Frau auch nur ein Grusswort zustande bekommt. Stattdessen lächelt sie sanft, und wartet, eine Hand auf dem Plüschbären liegend.

Nicht jeder Tod kommt am Ende eines Lebens, und manchmal ist es schwerer, anderen einzugestehen, was wir verloren haben, als unsere Leichen mit uns zu tragen.

SCHREIBWETTBEWERB UNTER FH-STUDIERENDEN

Dieser Artikel wurde von Mikko Kahi, Student Datascience an der Fachhochschule Nordwestschweiz verfasst und am Schreibwettbewerb von FH SCHWEIZ eingereicht.

Dem Gewinner bzw. der Gewinnerin winken 1000 Franken. Noch bis Ende November kann fĂĽr die Texte mittels Likebutton gevoted werden. Zeitgleich vergibt eine Jury zwischen 1-10 Punkte. Die Gewichtung des Ă–ffentlichkeits-Voting und jener der Jury ist 1:1. Im Dezember wird der oder die Gewinner:in kommuniziert.

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