RAUM FÜR ALLE – Ein Projekt für Gleichstellung im öffentlichen Raum

Annick Senn
Studentin | FHGR
  • 23.08.2021
  • 4 min
Das Projekt RAUM FÜR ALLE dokumentiert, was Baslerinnen nachts auf dem Heimweg erleben und was für Gefühle sie dabei begleiten.

Öffentlicher Raum in der Schweiz sollte den Anspruch haben, der Bevölkerung ein Sicherheitsgefühl vermitteln zu können. Tatsache ist, dass das nur auf bestimmte Gesellschaftsgruppen zutrifft. Besonders Frauen scheinen diesbezüglich in einer diskriminierten Position. Ihr Heimweg ist geprägt von Ängsten, unguten Gefühlen und herausfordernden Bewältigungsstrategien. Oft erreicht sexuelle Gewalt nicht die Schlagzeilen, aber den Alltag vieler Frauen. Ob auf dem Heimweg, im Bus, an Haltestellen, in Parks oder in Nachtclubs– vielerorts fürchten sich Mädchen und Frauen vor sexualisierter Gewalt. Mit dem Projekt «RAUM FÜR ALLE» wollten wir die Gefühle zugänglich machen, die so alltäglich sind. Wir wollten damit zeigen: Das sind jene Gedanken, über die man sich gar keine Gedanken mehr macht, weil sie seit Kindsalter reproduziert werden.

 

Fünf Frauen sind fünf unterschiedliche Routen in Basel-Stadt abgelaufen und haben ihre Eindrücke geteilt. Das multimediale Endprodukt lässt sich über unsere Website abspielen oder durch das Scannen von QR Codes auf Postern, die wir auf den Routen während einer Woche im Juli angebracht hatten. Damit konnte das Erlebnis auch in Echtzeit abgelaufen und nachgefühlt werden.

 

Gemeinsam Präventionsarbeit leisten

Durch die Plakataktion wurde schnell klar: Das Thema ist aktuell. Betroffene haben sich bei uns gemeldet, und uns von ihren Erlebnissen und Ängsten erzählt. Wir wussten: Jetzt haben wir uns ein Gehör verschafft, jetzt müssen wir weiter machen. Mit einem Stand am Tension Festival in Basel konnten wir vor Ort Präventionsarbeit leisten. Durch Gespräche mit Teilnehmenden wurde erneut ersichtlich: Es gibt einen bedeutenden Unterschied bei den Ängsten von Frauen und Männern. Bei kurz gefilmten Interviewfragen, baten wir Besucher:innen des Festivals in Stichworten Fragen zu beantworten und sie auf einem Blatt aufzuschreiben, welches sie dann kommentarlos in die Kamera halten sollten. 100% der befragten Frauen gaben an, nach dem Event nicht alleine nach Hause zu gehen. Bei den Männern waren es lediglich 12%. Erschreckend war auch die Tatsache, dass 100% der befragten Teilnehmer:innen angegeben haben, jemanden zu kennen, der schon einmal sexuell Belästigt wurde. Das sind 100% zu viel.

 

Persönlicher Raum als Territorium

Verschiedene Studien im westeuropäischen Raum verweisen immer wieder auf die Problematik von sexueller Belästigung im öffentlichen Raum. Ein territoriales Verständnis geht unserer Meinung nach über eine geographische Ebene hinaus: Auch der persönliche Raum kann als Territorium verstanden werden. In der Regel halten Gesprächspartner:innen einen Abstand von einer Armlänge (Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (Hg) / Wippermann, Carsten: Sexismus im Alltag. Wahrnehmungen und Haltungen der deutschen Bevölkerung. Pilotstudie. Berlin, Oktober 2019) und das Eindringen in diesen Raum wird als unangenehm empfunden (Familienmitglieder und nahe Bekannte bilden hier die Ausnahme). Im öffentlichen Raum sind diese Abstandsregeln notgedrungen oft nicht einzuhalten: Das durchdrängeln zur Bar, der volle Bus oder der Fahrstuhl werden zu herausfordernden Alltagssituationen, die ausgenutzt werden können. Sich einander mehr Raum zu geben, hat also mehr als nur eine Bedeutungsebene und muss unbedingt an die Situation angepasst werden. Hierfür sind auch sogenannte Social Skills von Bedeutung: Wie wirke ich auf mein Gegenüber? Was gibt mir mein Gegenüber für Signale? Und im Zweifel nachfragen!

 

Die Gestaltung öffentlicher Räume unter Sicherheitsaspekten für Frauen ist von großer Bedeutung– was in Debatten bis jetzt zu kurz kam. Deswegen setzen wir uns für eine offene Diskussion und Prävention ein, die dort ansetzt, wo das Problem seinen Ursprung hat: Und das ist nicht bei den Betroffenen!

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