Reden hilft

Dr. phil. Eveline von Arx
  • 20.02.2023
  • 3 min
Was wie eine Binsenwahrheit klingt und wahrscheinlich ein Allgemeinplatz ist, wenn es um psychische Gesundheit und den Umgang mit seelischen Beeinträchtigungen geht, ist dennoch keine Selbstverständlichkeit: Wer darüber sprechen kann, was ihn oder sie beschäftigt und belastet, seine Gefühle benennt, ausdrückt und (mit)teilt, erfährt dies meist als hilfreich und erleichternd.

Als Notfallpsychologin erlebe ich immer wieder, wie Menschen, die etwa von einem Schicksalsschlag oder traumatischen Ereignis betroffen sind, das Bedürfnis verspüren, zu reden, zu erzählen, das Erlebte in eigener Sprache wiederzugeben. Und als Psychologin für Schüler:innen und Lernende an verschiedenen Schulen sehe ich in meiner täglichen Arbeit, wie wichtig es ist, auf Jugendliche dialogbereit einzugehen, ihnen zuzuhören, ihre Anliegen ernst zu nehmen und sie darin zu unterstützen, Worte für ihre Emotionen, Gefühle und auch Umstände zu finden.

Wirksame Gespräche

Psychotherapeut:innen wissen, wie wirksam für ihre Patient:innen Gespräche mit einem resonanten Gegenüber sind, wenn es darum geht, mit psychischen Schwierigkeiten umzugehen, seelische Belastungen zu verarbeiten und zu integrieren. Resonant meint, mitzuschwingen, auch offen und empfangsbereit zu sein für aufkommende Gefühle.

Vor einiger Zeit schilderte mir eine Jugendliche, dass ihre Mitschüler:innen sie während der Primarschulzeit sehr missachtend behandelt hätten. Während sie mir erzählte, wie sie damals ignoriert und ausgeschlossen worden war, entstand in unserem Gespräch ein Raum für ihr Leid und die damit
in Verbindung stehenden traurigen Gefühle. Sie konnte über diese reden, sie allmählich verstehen, ihnen eine Bedeutung abgewinnen, die auch für Verhaltensweisen, die sie aktuell immer wieder in sozialen Situationen zeigt, Sinn ergeben. Ihre Empathie mit sich selbst entwickelte sich, indem sie über ihre Erlebnisse sprechen konnte, was für sie manches verstehbarer machte. Über das zu reden, was einen bewegt und dies in tragfähigen Beziehungen zu teilen – das muss nicht ausschliesslich in einem psychologisch-therapeutischen Setting geschehen –  ist für das psychische (Wohl-)Befinden also essenziell. Solche Prozesse brauchen jedoch Zeit und Geduld und ein öffentliches Verständnis dafür, dass psychische Gesundheit nicht in erster Linie unter dem Postulat der maximalen ökonomischen Effizienz gefördert werden kann.

 

Dieser Artikel ist als Erstpublikation im INLINE 01/2023 erschienen.

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