In meinem Leben habe ich schon einige Tiefpunkte erlebt. Als ich damals meine Ausbildung schmiss, vier Monate vor dem Ende, war ich ziemlich lange pleite. Für Essen hatte ich praktisch kein Geld übrig. Also hat es täglich Kartoffeln gegeben. Das ist mir aber nie verleidet, denn ich habe sie immer anders geschnitten und zubereitet. Manchmal ist es im Leben einfach so wie es ist – für manche ist es wie eine Schachtel Pralinen, für andere wie ein Sack Kartoffeln.
Als Familienmitglieder illegal in die Schweiz einreisten und vor meiner Tür auftauchten, konnte ich nicht anders, als sie bei mir unterzubringen. Damit verstiess ich gegen das Gesetz. Im Gefängnis wurden mir dann jegliche Formen von Freiheit genommen. Ich wusste nicht wie es weitergeht, aber das hat mir noch nie Angst gemacht. Sich Sorgen zu machen bringt nichts. Wo ich zum Beispiel später mal alt werden möchte, spielt mir keine Rolle. Darüber habe ich mir noch gar nie Gedanken gemacht. Die Vergangenheit und die Zukunft sind irrelevant. Wichtig ist mir einfach, dass ich auch dann mit Menschen zu tun habe. Egal, ob das Gute oder Schlechte sind – schliesslich hat jeder einen kleinen Schaden.
Das ist für mich Gerechtigkeit. Jeden so zu akzeptieren, wie er ist. Klar, es gibt auch solche, die aus dem Rahmen fallen und anderen absichtlich Schmerzen zufügen. Denen sollte man helfen. Ich glaube nicht, dass es uns zusteht, diese zu verurteilen oder zu bestrafen. Vielmehr sollte die Gesellschaft solchen Menschen zeigen, wie man zufrieden wird. Oft sind diese eben unglücklich. Deshalb wollen sie auch nicht, dass es anderen gut geht.
Falsche Erziehung und einen Mangel an Erfahrungen sehe ich als weitere Gründe, warum Menschen kriminell werden. Durch Leistungsdruck und veraltete Werte verlieren Kinder oft den Fokus, was denn wirklich wichtig ist. Sie denken, dass zählt, wie viel man verdient. Dabei vergessen sie völlig, dass materielle Sachen vergänglich sind. Erfahrungen wie Reisen dagegen erweitern unseren Horizont. Dadurch empfinden wir auch mehr Verständnis und Respekt für andere. Das stärkt unsere Empathie.
Einmal, als ich noch jung war, habe ich mir die Hand gebrochen. Ich war im Spital und musste sie operieren. Verflucht, tat das weh! Der Schmerz pochte durch meinen ganzen Körper. Wütend lag ich tagelang im Bett und fragte mich, warum mir das passiert ist. Dann ging ich ein Café trinken in das Spitalrestaurant. Da sah ich viele der anderen Patienten – einer hatte keinen Arm mehr. Ich Dummkopf hatte mich über den temporären Schmerz aufgeregt und der hatte nicht mal mehr einen Arm.
Seither schätze ich alles, was ich habe. Harte Zeiten haben eben auch Vorteile. Sie stärken uns. Egal, wie gross das jeweilige Leiden auch ist, früher oder später lernt jeder, daraus das Beste zu machen. Stell dir vor: Du hast alles, bist wunschlos glücklich und verlierst dann alles über Nacht. Im ersten Moment bist du schwach. Doch dann wächst du an der Situation – besonders, wenn du gar keine andere Wahl hast.
Freiheit bedeutet für mich, die Wahl zu haben. Gleichzeitig heisst es auch, zu leben und andere leben zu lassen. Das machen aber die wenigsten Menschen. Sie leben so, wie dies die Gesellschaft verlangt. Dabei passen sie sich stark an. Nach einer Weile merken sie dann, dass sie überhaupt nicht mehr sich selber sind. Das ist anstrengend. Ausserdem hegen sie Erwartungen und sind dann enttäuscht, wenn diese nicht erfüllt werden. Mir ist das egal. Mein Glück hängt nicht davon ab, was andere von mir denken, ob ich viel Geld habe oder die Liebe einer Frau. Diese Unabhängigkeit macht mich frei. Glück lässt sich nämlich nicht anbinden.
Ein weiterer wichtiger Faktor, der mich enorm bereichert, ist die Dankbarkeit. Ich kann mich entweder aufregen, weil es regnet und meine Schuhe nass werden, oder froh darüber sein, später nach Hause zu kommen, wo es schön warm und trocken ist. Das Leben hat so viel zu bieten. Jeder Situation kann man etwas Gutes abgewinnen.
Irgendwann sind wir tot. Was danach geschieht, wissen wir nicht. Deshalb ist das einzig Wichtige, wie wir unser Leben gestalten. Geh raus, habe Spass, geniesse den Moment und sei nett – zu allen. Du weisst nicht, was sie gerade durchmachen und was ihre Geschichte ist. Mach dir keinen Kopf in harten Zeiten. Schäle dann einfach deine Kartoffeln etwas anders und warte, bis sie vorbei sind. Geduld ist alles.»
*Name geändert
Bildurheber: Unsplash / Evan Kirby
Dieser Beitrag ist als Erstpublikation im Brainstorm-Magazin erschienen.