Dr. Roman Schister: Der Begriff setzt sich aus den beiden englischen Wörtern «work» und «vacation» zusammen – also die Kombination aus Arbeit und Urlaub. Darunter versteht man, dass der Arbeitsort über einen gewissen Zeitraum an einen Urlaubsort verlegt wird. Homeoffice kombiniert mit Ferien an einem schönen Ort sozusagen. Zweck der Workation ist es, Entspannung und Arbeit miteinander zu verbinden, ohne eine Lohneinbusse oder zu viele Urlaubstage in Kauf nehmen zu müssen. Der Workation-Trend hat sich mit dem Aufkommen von flexibleren Arbeitsmodellen im Sinne von New Work entwickelt. Mit der Homeoffice-Pflicht während der Pandemie wurde vielen Unternehmen bewusst, dass Arbeitnehmende in diversen Bereichen von fast überall aus arbeiten können.
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In der Schweiz herrscht eine relativ grosse Vertragsfreiheit. Flexible Arbeitsmodelle können im Arbeitsvertrag geregelt werden, zum Beispiel wie viele Tage die Arbeitnehmenden im Homeoffice arbeiten dürfen oder unter welchen Bedingungen Workations erlaubt sind. Allzu detailliert sind Arbeitsverträge in der Praxis jedoch nicht: Häufig ist nur der Arbeitsort festgelegt, und die Genehmigung flexibler Arbeitsbedingungen erfolgt fallweise und spontan durch die Arbeitgeberin oder den Arbeitgeber. Einen gesetzlichen Anspruch auf flexible Arbeitsbedingungen – also zum Beispiel auf Homeoffice oder Workations – gibt es übrigens nicht.
Workations ausserhalb der EU- und EFTA-Staaten – wie etwa in Brasilien – werden rechtlich schnell kompliziert. Die Gefahr, als Unternehmen in eine Falle zu tappen, ist enorm gross.
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Dr. Roman Schister
Kursleiter des CAS Arbeitsrecht an der OST – Ostschweizer Fachhochschule
Bei einer Workation kommt es in erster Linie darauf an, wo sie stattfindet. Eine Workation in den Schweizer Bergen oder am Luganersee im Tessin stellt selten ein Problem dar, da weiterhin Schweizer Recht gilt. Ein längerer Aufenthalt in einem anderen Kanton könnte höchstens dazu führen, dass Arbeitnehmende dort steuerpflichtig werden.
Wenn Arbeitnehmende aber Workations im Ausland machen wollen, verändert sich die Rechtslage. Denn es entstehen internationale Verhältnisse. Workations ausserhalb der EU- und EFTA-Staaten – wie etwa in Brasilien – werden rechtlich schnell kompliziert. Die Gefahr, als Unternehmen in eine Falle zu tappen, ist enorm gross, da die Schweiz mit diesen Ländern in der Regel keine Abkommen hat, die die Arbeitstätigkeit in zwei Staaten regeln. Hinzu kommt, dass eine gültige Arbeits- und Aufenthaltsbewilligung vorliegen muss.
Dagegen besteht mit den EU- und EFTA-Staaten ein dichtes Netz von Abkommen über die Arbeitstätigkeit und damit verbundene Fragen. Die Personenfreizügigkeit gewährt Arbeitnehmenden und Arbeitgebenden viele Freiheiten. Es gibt aber auch Regelungen, die möglicherweise überraschend sind: Kommt es zum Rechtsstreit, kann es sein, dass dieser vor ausländischen Gerichten ausgetragen werden muss, wenn die Arbeitnehmerin oder der Arbeitnehmer die Arbeit zum Grossteil im Ausland verrichtet. Unternehmen müssen abwägen, ob sie dieses Risiko eingehen wollen.
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Wenn ich zum Beispiel in der Schweiz angestellt bin, zu 60 Prozent in Portugal arbeite und es zu Streitigkeiten mit meinem Arbeitgeber kommt, könnte ich vor den portugiesischen Gerichten klagen. Ausserdem stellt sich die Frage, ob nun das Schweizer oder das portugiesische Arbeitsrecht gilt.
Ich rate Arbeitnehmenden und Arbeitgebenden dazu, im Arbeitsvertrag festzuhalten, dass Schweizer Arbeitsrecht anwendbar ist. Aber auch eine solche Klausel löst nicht alle Probleme: Wenn das Arbeitsrecht in Portugal arbeitnehmerfreundlicher ist, zum Beispiel der Kündigungsschutz grösser ist, gelten diese Bestimmungen zwingend. Ein Schweizer Unternehmen müsste sich also daran halten.
Bei Staaten ausserhalb der EU/EFTA führt besonders das Sozialversicherungsrecht dazu, dass Unternehmen Workations verbieten oder einschränken.
Auch hier kommt es auf das Zielland an. Grundsätzlich gilt innerhalb der EU- und EFTA-Staaten, dass die Sozialversicherungen am Arbeitsort bezahlt werden. Arbeitet man in mehreren Staaten, kommt es zur Versicherungspflicht im Wohnsitzstaat, wenn Arbeitnehmende dort mehr als 25 Prozent arbeiten. Bei einigen Staaten liegt diese Grenze sogar bei 50 Prozent. Das betrifft zum Beispiel unsere Nachbarstaaten, aber auch beliebte Workation-Länder wie Spanien oder Portugal. Bei Staaten ausserhalb der EU/EFTA führt besonders das Sozialversicherungsrecht dazu, dass Unternehmen Workations verbieten oder enorm einschränken, weil dann für jedes Land einzeln geprüft werden muss, ob und in welchem Umfang eine Sozialversicherungspflicht besteht.
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Steuerrechtlich kann kaum eine allgemeine Aussage getroffen werden. Es kommt auf mehrere Aspekte an, etwa die Dauer des Auslandaufenthalts und die Frage, ob die Schweiz mit dem Staat, in dem eine Person erwerbstätig ist, ein Doppelbesteuerungsabkommen abgeschlossen hat. Falls dem so ist, kann vermieden werden, dass Arbeitnehmende in beiden Staaten Steuern bezahlen müssen. Es lohnt sich in jedem Fall, mit den zuständigen Behörden zu klären, ob eine Steuerpflicht besteht.
Auch Unternehmen müssen steuerrechtlich aufpassen: Wenn zum Beispiel mehrere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter über einen längeren Zeitraum gemeinsam in Italien eine Workation machen und von dort aus wichtige Arbeit für das Schweizer Unternehmen leisten, kann es passieren, dass die lokalen Behörden eine Betriebsstätte des Schweizer Unternehmens in Italien annehmen. Das hätte die Folge, dass das Schweizer Unternehmen selbst in Italien steuerpflichtig wird.
Für Länder wie Deutschland, Österreich oder andere EU/EFTA-Staaten ist es relativ einfach, rechtliche Guidelines zu finden und Regelungen zu erarbeiten. Daher würde ich Unternehmen raten, den Aufwand für rechtliche Abklärungen zu betreiben und die Arbeit in diesen Staaten zu ermöglichen.
Ein Schweizer Unternehmen muss immer im Auge behalten, dass bei Arbeiten im Ausland möglicherweise Daten dorthin bekannt gegeben werden. Es muss dann berücksichtigt werden, dass das jeweilige Land ein gleichwertiges Datenschutzniveau hat oder aber eine Einwilligung der betroffenen Personen vorliegt.
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Pauschale Aussagen in Bezug auf Arbeitsrecht, Sozialversicherungspflicht und Steuern lassen sich nicht machen. Deshalb sollte jede Workation als Einzelfall zusammen mit Juristinnen und Juristen geprĂĽft werden.
Für Länder wie Deutschland, Österreich oder andere EU/EFTA-Staaten ist es relativ einfach, rechtliche Guidelines zu finden und Regelungen für den eigenen Betrieb zu erarbeiten, da viele Schweizer Arbeitnehmende in diese Länder gehen. Daher würde ich auch raten, den Aufwand für rechtliche Abklärungen zu betreiben und die Arbeit in diesen Staaten zu ermöglichen. Dadurch kann man den Mitarbeitenden mehr Flexibilität bieten, die heute bis zu einem gewissen Grad zur Arbeitswelt dazugehört. Wenn Workations häufiger nachgefragt werden, kann zudem eine grundsätzliche Regelung im Arbeitsvertrag oder Personalreglement sinnvoll sein.
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Da sieht es wie gesagt anders aus. Hier bestehen hohe Hürden und Risiken, weshalb ich gerade kleineren Unternehmen im Zweifel davon abrate, Workations in Drittstaaten zu erlauben. Vielleicht kann man den Arbeitnehmenden stattdessen eine Destination innerhalb der EU/EFTA-Staaten schmackhaft machen. Was aber auch erwähnt werden muss: Ein kurzes Überprüfen von E-Mails während eines Auslandaufenthalts ist selbstverständlich kein Problem.
CAS Arbeitsrecht
Das Arbeitsrecht ist eine komplexe Rechtsmaterie mit vielen Fallstricken. Im CAS Arbeitsrecht gewinnen die Teilnehmenden einen Überblick über die geltenden Bestimmungen und lernen, arbeitsrechtliche Problemstellungen gezielt zu bearbeiten, um rechtlich fundierte Entscheidungen zu treffen.
Dieser Artikel ist als Erstpublikation in den OST News erschienen.