Er kennt die Innen- wie auch Aussensicht der Medien, ist Kommunikationsprofi und somit ein Experte in der Anwendung von Sprache. Seit 2008 ist Daniele Pallecchi als SBB-Sprecher für Zürich und die Deutschschweiz tätig. Seine ersten beiden Jahre bei der staatsnahen Eisenbahngesellschaft arbeitete er als Blattmacher der SBB-Zeitung.  Davor war der 57-jährige Badener auf verschiedenen grossen Zeitungsredaktionen in Zürich tätig, so etwa bei der «Sonntagszeitung», bei «Cash» und zuletzt bei der «Weltwoche» als Chef vom Dienst. Er hat an der ZHAW den MAS in Communication Management and Leadership absolviert und unterrichtet selber in Kursen an der ZHAW im Bereich Kommunikation.
Was hat Sie bewogen, vom Journalismus in die Kommunikationsbranche zu wechseln?
Daniele Pallecchi: Bereits mit dem Platzen der Dotcom-Blase im Jahr 2000 hat sich für mich abgezeichnet, dass der Journalismus ein strukturelles Problem erhalten würde – namentlich durch die Konkurrenz zwischen Print und Internet. Doch die Wucht der Veränderungen erkannte damals niemand so recht. Für mich persönlich kam hinzu, dass ich während meiner 16 Jahre im Journalismus schon vieles gesehen hatte auf dem Weg zu meinem letzten Job bei der damaligen «Weltwoche». Wohin sollte ich noch gehen? Ich spürte: Dies war für mich das Ende der Fahnenstange. Mir war es aber wichtig, zu einem Unternehmen zu wechseln, hinter dem und dessen Werten ich stehen kann. Dies ist bei der SBB der Fall.
Wie unterscheidet sich die Sprachanwendung zwischen Journalisten und Kommunikationsleuten?
Die Sprache selbst ist nicht so verschieden. Es ist mehr die Frage des Blickwinkels, den man einnimmt, also des Framings. Als Kommunikationsmensch habe ich das Interesse, dass die Journalisten unsere Botschaften verstehen. Wenn eine Medienmitteilung von uns von den Medien eins zu eins ĂĽbernommen wird, dann haben wir gute Arbeit geleistet. PR-Geschwurbel ist da hinderlich. Werbesprache hassen die Journalisten. Sie haben einen anderen Blickwinkel.
Es gibt so Begriffe in der Bahnwelt, die mittlerweile durch die SBB alle kennen. Mein liebstes Beispiel: «Stellwerkstörung». Wie entsteht dieses Vokabular?
Vieles ist historisch gewachsen, die Eisenbahn gibt es ja seit 170 Jahren. Ein erkennbares Muster ist etwa, dass man technischen Vorgängen eine Seele geben möchte: Wenn sich zum Beispiel ein Güterwaggon im Rangierbahnhof von der Lok löst, ist er «entlaufen». Und im Kraftwerk Amsteg haben die drei Generatoren Frauennamen. Tiernamen finden ebenfalls Eingang, wie die berühmte grüne  Lokomotive «Krokodil». Zudem ist das Funktionieren eines Bahnunternehmens so komplex, dass man vieles mit technischen Begriffen abkürzt. Dadurch ist ein eigenes Vokabular und eine Semantik entstanden, bei denen Aussenstehende im wahrsten Sinne des Wortes nur Bahnhof verstehen. Da war auch ich anfangs baff. Es braucht Zeit, dieses Idiom zu lernen. Als Sprecher muss ich jeweils extrem aufpassen, nicht in diese interne Begrifflichkeit zu fallen, sondern mich so auszudrücken, dass es auch Laien verstehen.
Bei welchen Begriffen hört das Verständnis in der Bevölkerung auf?
Für leichtes Erschrecken sorgt beispielsweise immer, wenn wir von «Personenflüssen» in den Bahnhöfen sprechen. Dabei ist es eine zentrale Sicherheitsfrage: Wir machen Heatmaps davon, wo sich Menschen stauen. Wird es zu eng, kann es gefährlich werden. Intern sprechen wir sogar von «Personenhydraulik» – das ist schon sehr technoid. Und «Stellwerkstörung» war sogar einmal das Wort des Jahres. Dabei handelt es sich um einen Sammelbegriff, der bedeutet, dass im Bahnbetrieb irgendetwas nicht 100 Prozent sicher ist. Denn 99,99 Prozent Sicherheit reichen uns nicht. Dann stellen die Signale sofort auf Rot. Vielleicht haben wir versäumt, dies besser zu erklären. Doch da stecken wir letztlich wieder im Clinch: Es ist schwierig zu vermitteln, dass der Bahnbetrieb vorübergehend nicht völlig sicher ist und darum unterbrochen wird. Tun wirs nicht, wird uns rasch vorgeworfen, wir wollten etwas verstecken, dabei ist dem keinesfalls so.
Sie sind Sprachrohr einer Institution, ĂĽber die jede Person im Land eine Meinung hat. Ein Spiessrutenlauf ...
Als bundesnaher Betrieb, der mit Steuergeldern in Milliardenhöhe subventioniert wird, haben wir eine Informationspflicht. Und der Bahnbetrieb ist wie erwähnt eine komplexe Geschichte. Gleichzeitig nimmt das Bahnwissen gerade bei den Journalisten, unseren primären Ansprechpartnern, stetig ab. Immer häufiger wird aus Zeitgründen Thesenjournalismus betrieben: Man kommt mit einer vorgefertigten Meinung oder Story zu uns und hat gar keine Kapazität, die Zusammenhänge zu erhellen oder die These zu revidieren. Also werden Vorurteile bestätigt. Der letzte Bahnspezialist im Tagesjournalismus hat 2018 bei der «NZZ» gekündigt.  Wir haben seither kaum noch sachkundige Ansprechpartner bei den Medien. Der Erklärungsbedarf aber steigt stetig. Im Lichte dieser Entwicklungen für die SBB zu arbeiten, ist nicht immer einfach. Für mich ist das interessant. Es ist mit ein Grund, warum ich so lange dabei bin, hier wird es nie langweilig. So muss es auch sein für einen Ex-Journi (schmunzelt).
Sie haben die Medien bereits angesprochen. Diese stecken in einem grundlegenden Umbruch. Wie erleben Sie diesen aus Ihrer Perspektive?
Wir haben jährlich rund 10000 Medienanfragen, das sind etwa doppelt so viele wie noch vor zehn Jahren. Das ist Schweizer Rekord. Und nach der Bankenkrise wurde die SBB seit Ende 2016 zum meistzitierten Unternehmen in den Schweizer Medien. Warum so viel Aufruhr? Sind wir dermassen wichtig? Natürlich lieben die Schweizerinnen und Schweizer ihre Bahn. Doch diese Zahlen bilden auch die Entwicklungen auf den Aufmerksamkeitsmärkten ab: Pendlermedien, Online, Social Media. Wo werden diese konsumiert? Vielfach im Zug. Die Digitalisierung liefert, was die Leute reizt und ihre Aufmerksamkeit gewinnt. Das ist Geld wert. Hier sehe ich eine teilweise Erklärung für das riesige und möglicherweise übersteigerte Interesse an uns. Die Frage ist, wieweit wir auch selber dafür verantwortlich sind.
Wieweit?
Ein Stück weit ist es sicher auch unser eigener Erfolg, wonach die schiere Anzahl an Fahrgästen und Pendlern in den vergangenen zwölf Jahren – bis vor Corona – um 50 Prozent zugenommen hat. Darunter befinden sich nicht nur zufriedene Kund:innen. Aber wir wissen auch, dass die SBB für die verschlankten Medien ein dankbares Thema ist, im Sinne von: mit wenig Recherche zu vielen Klicks. Dies zeigt die schlichte Tatsache, dass alleine die Erwähnung der SBB im Titel oder die Abbildung eines SBB-Zugs drei- bis fünfmal mehr Klicks bringt.
Hat sich in diesem Kontext auch die Sprachanwendung verändert?
Schwer zu sagen. Man würde ja gerne behaupten, dass die Sprache gewalttätiger geworden ist. Das stelle ich aber so nicht fest. Hitziger sind sicher die Auseinandersetzungen in den Kommentarspalten geworden. Und was mir extrem auffällt: Bei Konflikten, Meinungsverschiedenheiten oder Bad News wird sehr schnell in schwarz/weiss engeteilt. Hier die Guten und das Gute, da das Böse. Grautöne werden kaum noch dargestellt. Es greifen häufiger Boulevard-Mechanismen mit dem Topos David und Goliath. Alles etwas binär. Hier hat die Sprache zwar das Potenzial, gröber zu wirken, bei den Journalisten stelle ich es jedoch nicht fest.
Sind Sie als Sprecher schon einmal an Grenzen gestossen, als es etwas der Ă–ffentlichkeit zu vermitteln galt?
Emotional sicher dann, wenn bei einem Unfall Menschen verletzt wurden oder sogar starben. Da ist man schon sehr exponiert. Aber ansonsten versuche ich liebend gerne, die Dinge Interessierten gegenüber zu erhellen. Als Sprecher der SBB stosse ich kaum an Grenzen, auch, weil ich persönlich hinter dem Unternehmen stehen kann, für das ich arbeite.
Und sprachtechnisch?
Das ist immer wieder eine Herausforderung. Die Botschaft entsteht ja im Kopf des Empfängers. Wir Sprecherinnen und Sprecher fragen deshalb immer wieder die Kollegen: Wie kommt diese Antwort bei dir an? Aber man kann auch Anfragen völlig falsch verstehen. Sprache ist eben nicht Mathematik, bei dem zwei plus zwei vier ergibt. Â
Stellt sich auch eine gewisse Routine ein?
Auf jeden Fall, nicht nur fachlich. Und ich meine das positiv: In der Rolle als Sprecher wird man sehr geĂĽbt darin, Sachverhalte und Formulierungen schnell auf mögliche Verständnisprobleme zu scannen. Man denkt schneller in Eventualitäten und nimmt rasant unterschiedliche Perspektiven ein. Â
Inwieweit war der MAS ein Türöffner für Ihre heutige Tätigkeit?
Er hat mir neue Perspektiven eröffnet. Rückblickend war nach meinem Soziologiestudium vor allem die wissenschaftliche Arbeit an meiner Masterthesis eine grosse Bereicherung. Mittlerweile hat sich zusammen mit meiner Lebenserfahrung und den fachlichen Kenntnissen ein ziemlich rundes Bild ergeben, mit dem ich mich im Beruf und im Leben mit Gewinn und immer wieder mit einem Staunen weiterbewege.
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Dieses Interview ist als Erstpublikation im INLINE August erschienen.