
Mit «Kostüm+» haben vier Absolventinnen des MAS Human Computer Interaction Design an der OST – Ostschweizer Fachhochschule eine digitale Lösung entwickelt, die es Theatern und anderen Institutionen ermöglicht, ihren Kostümfundus effizient zu verwalten, zu durchsuchen und dessen Nachhaltigkeit zu verbessern.
Wenn an der Premiere der Vorhang aufgeht, muss alles sitzen: das Bühnenbild, die Choreografie, die schauspielerische Leistung und nicht zuletzt die Kostüme. Oft werden diese für die Aufführung neu angefertigt und wandern nach der Dernière in den Fundus, wo sich im Laufe der Jahre schnell mehrere tausend Stücke ansammeln können. Hier den Überblick zu behalten, ist herausfordernd. Zumal in der Regel verschiedene Personen und Berufsgruppen in die meist noch analogen Prozesse involviert sind – von der Gewandmeisterin über den Schneider bis zur Kostümassistentin.
Um eine optimierte und nachhaltige Nutzung des Kostümfundus zu ermöglichen, haben Irja Böhm, Heidi Kaufmann, Rebecca Rotondari und Manuela Vielmi im Rahmen ihrer Masterarbeit an der OST – Ostschweizer Fachhochschule eine digitale Lösung namens «Kostüm+» entwickelt. Dabei arbeiteten die vier Absolventinnen des MAS Human Computer Interaction Design mit den Bühnen Bern, dem Theater Luzern und SRF zusammen.
Durch die Digitalisierung des Kostümfundus werden analoge Prozesse optimiert und interne Workflows effizienter gestaltet.
Heidi Kaufmann
UX Designerin bei Neustadt Agentur AG, Absolventin des MAS Human Computer Interaction Design
«Bei «Kostüm+» handelt es sich um ein Tool, mit dem Theater und Institutionen ihren Kostümfundus digitalisieren, verwalten und durchsuchen können», erklärt Heidi Kaufmann. Das Projekt verfolge das Ziel, die Nachhaltigkeit in der Theaterbranche zu stärken, indem vorhandene Kostüme besser genutzt und Neuproduktionen reduziert würden. «Durch die Digitalisierung des Kostümfundus werden analoge Prozesse optimiert und interne Workflows effizienter gestaltet.» Zudem würden Institutionen besser vernetzt, was es vereinfache, Kostüme untereinander auszuleihen. «Insgesamt können Theater und andere Institutionen mit einer solchen Lösung Ressourcen schonen und langfristig Kosten sparen», sagt Heidi Kaufmann.
«Keine von uns hatte je zuvor mit Theater und Kostümen zu tun», erzählt Rebecca Rotondari. Deshalb habe sich für alle eine neue Welt aufgetan. «Eine Welt mit unglaublich viel Herzblut, Engagement und Kreativität.» Je nach Phase der Theatersaison seien die Arbeitstage für die Mitarbeitenden lange und hektisch – vor allem, wenn es kurzfristige Änderungen gebe, was wohl häufig vorkomme. «Wir haben dann rasch gelernt, ebenso flexibel zu sein und haben unsere Interviews oder Usability Testings zum Beispiel in den Künstlergarderoben oder in der Schneiderei neben einem dampfenden Bügeleisen durchgeführt – einfach dort, wo gerade Platz war.»
Um die verschiedenen Aufgaben im Theater- und Kostümfundus sowie die Arbeitsweisen, Probleme und Herangehensweisen der Praxispartner besser zu verstehen, hat das Projektteam zu Beginn verschiedene Mitarbeitende befragt.
Kostümfundus, Schneiderei und Bühne befinden sich an unterschiedlichen Orten. Ohne digitale Unterstützung müssen daher stets enorme Distanzen zurückgelegt werden.
Irja Böhm
Geschäftsleitung itServe AG, Absolventin des MAS Human Computer Interaction Design
Dabei kristallisierte sich unter anderem heraus, dass ein grosses Bedürfnis besteht, durch die Digitalisierung der Prozesse Zeit zu sparen. «Kostümfundus, Schneiderei und Bühne befinden sich an unterschiedlichen Orten», sagt Irja Böhm. «Ohne digitale Unterstützung müssen daher stets enorme Distanzen zurückgelegt werden.» Auch die Nachhaltigkeit war für die Mitarbeitenden ein zentraler Faktor, der für eine digitale Lösung sprach. «Je besser und schneller man weiss, was sich im Fundus befindet, desto weniger muss eingekauft oder neu hergestellt werden, sagt Irja Böhm.
Gleichzeitig spürten Irja Böhm, Heidi Kaufmann, Rebecca Rotondari und Manuela Vielmi anfangs auch eine gewisse Skepsis. «Uns fiel rasch auf, dass die Personen rund um die Kostüme nicht nur stark visuell orientiert sind, sondern dass auch das Haptische enorm wichtig ist», sagt Rebecca Rotondari. «Hier galt es, Überzeugungsarbeit zu leisten, dass es sich dennoch lohnt, eine digitale Lösung zu entwickeln – auch wenn das Gefühl für den Stoff nie ersetzt werden kann.»
Uns fiel rasch auf, dass die Personen rund um die Kostüme nicht nur stark visuell orientiert sind, sondern dass auch das Haptische enorm wichtig ist.
Rebecca Rotondari
UX Architektin bei SBB, Absolventin des MAS Human Computer Interaction Design
Bei der Besichtigung der Kostümfundi stellte sich heraus, dass je nach Projektpartner unterschiedliche Ordnungsmodelle und dazu meist analoge Prozesse bestehen. Ein Beispiel – die unterschiedlichen Beschriftungen der Kostüme. Teils werden die Artikel von Hand beschriftet, teilweise mit Papieretiketten versehen, teilweise werden Stoffetiketten eingenäht. Auch die Sortierung erfolgt unterschiedlich, mal nach Farbe, mal nach Grösse, mal nach Sparte. Das sei eine grosse Herausforderung gewesen, sagt Rebecca Rotondari. «Jede Ordnung funktioniert zwar für sich, aber hin und wieder braucht es viel Zeit, um etwas zu finden.» Zudem sei das Wissen um die Strukturen auf jeweils nur wenige Köpfe verteilt. «Und je grösser und verteilter auf verschiedene Standorte ein Fundus ist, desto schwieriger wird es für Ungeübte, sich ohne digitale Hilfsmittel in den meterlangen und oft mehrstöckigen Regalen und Kleiderstangen zurechtzufinden», erklärt sie. «Um dem gerecht zu werden, mussten wir die unterschiedlichen Bedürfnisse verstehen und in unserem Digitalisierungsprojekt in den Attributen und Filtern berücksichtigen.»
«Für Kostüm+ haben wir ein Design gewählt, das klar zwischen informativen Inhalten und Interaktionsmöglichkeiten unterscheidet und den Glamour der Theaterwelt widerspiegelt», sagt Heidi Kaufmann. Zudem habe man Wert auf die Skalierbarkeit gelegt. Das bedeutet, dass das Designsystem problemlos an verschiedene Grössen, Plattformen und Anforderungen angepasst werden kann.
«Die Prototypen wurden auf Mobiltelefonen und Tablets getestet, denn diese Geräte sind gemäss unseren Untersuchungen am vielversprechendsten», erklärt Manuel Vielmi. Die Rückmeldungen der Praxispartner seien durchwegs positiv gewesen. «Sie waren sehr begeistert und immer motiviert bei den Treffen. Zudem machte es ihnen Spass, die Applikation zu benutzen und sie wollten sie am liebsten gleich haben.»
Das Projekt ist auf einem sehr guten Level. Um es weiterzuentwickeln, bedarf es aber noch einiger grundlegender Entscheidungen.
Manuela Vielmi
Lead Consultant bei Ergon Informatik AG, Absolventin des MAS Human Computer Interaction Design
Noch ist es unklar, wie es mit «Kostüm+» weitergeht. «Das Projekt ist auf einem sehr guten Level», sagt Manuela Vielmi. Um es weiterzuentwickeln, bedürfe es aber noch einiger grundlegender Entscheidungen. Zum Beispiel bezüglich der Projektverantwortung oder der Finanzierung.Mit ihrer Masterarbeit haben die vier Absolventinnen des MAS Human Computer Interaction Design jedoch eine wichtige Vorarbeit geleistet. «Eine unserer wichtigsten Erkenntnisse ist, dass es nicht ausreicht, einen Prozess einfach zu digitalisieren, um Veränderungen zu bewirken», sagt Irja Böhm. «Vielmehr braucht es auch Menschen, die einen echten Willen zur Veränderung haben und diese mit Leidenschaft vorantreiben.»
Dieser Artikel wurde als Erstpublikation auf weiterwissen.ch veröffentlicht.