«Die beiden Hochschultypen sollten sich wieder mehr gemäss ihrem Auftrag ausrichten»

José Gomez ist seit Anfang 2024 Rektor der Kalaidos Fachhochschule. Er hat eine Karriere in verschiedenen Leitungspositionen an Uni, PH und FH hinter sich und ist dadurch ein profunder Kenner der Hochschulwelt. Im Interview erläutert er, warum er nun die Herausforderung an einer privaten FH sucht. Und er empfiehlt den Fachhochschulen generell ein Umdenken, wenn es um den Lehrkörper geht.

Herr Gomez, Sie machen eine klassische akademische Karriere. Was macht fĂĽr Sie den Reiz aus?

Streng genommen bin ich ja in der «Privatwirtschaft» tätig, ich bin ja an einer privaten Hochschule angestellt. Aber natürlich arbeite ich noch immer in einem öffentlich-rechtlich geprägten Kontext. Ich schätze das akademische Umfeld sehr, bin umgeben von vielen kompetenten Menschen und Experten. Zudem geniesse ich hier durch die private Trägerschaft viele Freiräume. Das ist eine sehr spannende Kombination. Ich bin nicht sicher, ob ich das so in der Privatwirtschaft vorfinden würde. Diese kenne ich auch durch die Zeit, in der ich im Bankenwesen tätig war.

Ist es auch Ihr generelles Interesse fĂĽr das Bildungswesen, das hier mitspielt?

Das Hochschulwesen fand ich schon immer sehr spannend. Diese Welt ist fordernd, sie ist gespickt mit jungen, hungrigen Menschen, es herrscht eine ausgeprägte Dynamik. Der Bereich ist nah am Leben. Gesellschaftliche Fragen müssen über unser Bildungswesen gelöst werden. Wir müssen die Gesellschaft voranbringen, für die Zukunft rüsten, etwa in Fragen der Digitalisierung und KI müssen wir einen wichtigen Beitrag zur Weiterentwicklung leisten. Auch persönlich bin ich gefordert, denn ich bewege mich in einem Expertensystem, viele Leute hier wissen mehr als ich. Da muss ich mithalten. Und nicht zuletzt war ich immer schon eine passionierte Lehrperson. Dozieren und lehren ist eine sehr befriedigende und sinnstiftende Tätigkeit.

Sie waren bisher praktisch durchgehend an öffentlichen Hochschulen tätig, warum nun der Wechsel zu einer Privaten?

Ich habe gemerkt, dass die Gestaltungsmöglichkeiten an öffentlichen Hochschulen teilweise doch recht beschränkt sind – gerade deshalb auch, weil diese stark politisch beeinflusst sind. Etwas übertrieben formuliert ist man dort eher Verwalter oder auch Vermittler zwischen Bildung und Politik. Dort zu gestalten gelingt je nachdem mal besser mal weniger. Und weil mich das Gestalten sehr reizt, hat mich die Herausforderung an der Kalaidos Fachhochschule angesprochen. Hier geniesse ich grössere Freiräume.

Etwas übertrieben formuliert ist man an der öffentlichen Hochschule eher Verwalter oder auch Vermittler zwischen Bildung und Politik.

Sind Sie nicht auch zum Gestalten gezwungen, aus wirtschaftlicher Notwendigkeit?

So ist es. Man ist an einer privaten Hochschule gezwungen, viel näher am Markt zu sein, also an den Studierenden, die sich am Arbeitsmarkt und dessen komplexen Aufgaben orientieren. Wir müssen einen Mehrwert für abnehmende Institutionen schaffen. Sonst ist man schnell weg vom Fenster. Insofern können wir es uns nicht leisten, uns mit Nebenschauplätzen zu beschäftigen, sondern müssen im Kerngeschäft brillieren.

Sie waren in St. Gallen in leitenden Funktionen an allen drei Hochschultypen PH, Universität und FH tätig. Oft wird eine Annäherung der FH an die Unis moniert. Sehen Sie dies ebenfalls so?

Nur bedingt. Die Annäherung geschieht aus beiden Richtungen. Seit Einführung der Bologna-Studiengänge werden an den universitären Hochschulen insbesondere Bachelor-Studiengänge vermehrt an der praktischen Anwendung ausgerichtet und unterscheiden sich nur noch wenig von einem FH-Bachelor. Die beiden Hochschultypen sollten ihr Profil wieder mehr gemäss ihrem Auftrag ausrichten und sich verstärkt darauf besinnen, wer sie sind und für wen sie ausbilden. Das zu steuern oder zu erzwingen ist grundsätzlich schwierig. Dies muss an den Hochschulen geschehen. Falsch finde ich, wenn man sich zu sehr miteinander vergleicht. Im Falle der FH wäre es wichtig, bei den Dozierenden wieder mehr auf qualifizierte Praxiserfahrung zu achten.

Kritisieren Sie das gängige Anforderungskriterium eines Doktortitels für Dozierende an der FH? Dies begünstigt den Trend, dass universitär gebildete Dozierende an Fachhochschulen tätig sind und hier die Lehre prägen.

Nicht unbedingt. Ein Doktortitel schliesst qualifizierte Praxiserfahrung nicht aus. Falsch wäre aber, wenn man nur auf den akademischen Hintergrund setzt. Wie kann man also dafür sorgen, dass Akademiker, die in die FH kommen, auch zu qualifizierter Praxiserfahrung kommen? Und wie kann man auch Dozierende mit qualifizierter Praxiserfahrung einbinden? Ich glaube, vielerorts ist die Balance derzeit nicht genügend vorhanden, man ist eher weggedriftet von der Praxisorientierung.

Wäre der konsequente Weg nicht ein anwendungsorientierter Doktortitel für Fachhochschulen?

Es ist heute tatsächlich schwierig für Fachhochschulen, sich den eigenen Nachwuchs selbständig auszubilden. Die Forderung der Fachhochschulen nach gleich langen Spiessen in der Forschung, die Anschlussfähigkeit oder auch ein eigenes Doktorat sind sicher Themen, die diskutiert werden sollen. Das führt aber auch zu Vergleichen untereinander. Aus meiner Sicht ist das nur bedingt eine sinnvolle Strategie. Daher sollte man sich auf das Wichtige besinnen an den FH: Auf die Personalpolitik und damit auf Dozierende, die qualitative Praxiserfahrung mitbringen.

Zur Person

José Gomez hat an der Universität St. Gallen Wirtschaft und Wirtschaftspädagogik studiert. Sein Doktorat erwarb er «mit höchster Auszeichnung». Er war als Dozent und in verschiedenen Leitungsfunktionen an der FHS St. Gallen (heute OST) tätig, danach an der PH St. Gallen sowie an der Universität St. Gallen. Seit Anfang 2024 ist er Gesamtrektor und CEO der Kalaidos Fachhochschule. Mehr zu seiner Funktion samt CV findest du hier.

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