Anjan Sartory ist seit Februar 2023 Kommandant der Stadtpolizei Winterthur. Er trat mit dem politischen Auftrag an, einen Kulturwandel im Polizeikorps herbeizuführen.
Die Vorgeschichte: 2021 und 2022 hatten sich innerhalb eines halben Jahres zwei Polizisten der Stadtpolizei ihr Leben genommen. Es folgte aus dem Korps massive Kritik an der damaligen Führung. Die Rede war von einem schlechten Klima, gar von einer «Angstkultur». Die Staatsanwaltschaft untersuchte die Fälle, zudem wurde von der zuständigen Stadträtin eine Administrativuntersuchung eingeleitet.
Nur Wochen nach seinem Dienstantritt wurde Sartory selber zur Zielscheibe einer anonymen Schmutzkampagne, die öffentlich in den Medien ausgetragen wurde. Es entbrannte ein Machtkampf in der Führungsetage, wobei sich Politik und Polizeibeamte hinter den neuen Kommandanten stellten. Mittlerweile ist Ruhe eingekehrt.
Anjan Sartory und die heutige Geschäftsleitung arbeiten nun bewusst an einer neuen Kultur mit zentralen Werten wie transparenter Kommunikation, respektvollem Umgang und Wertschätzung. Zentrales Anliegen des Kommandanten ist auch, im traditionell männerdominierten Polizeiberuf den Frauenanteil zu erhöhen – insbesondere in der Führungsetage.
Anjan Sartory: Ich habe 2019 bei der Stadtpolizei St. Gallen als Leiter des Bereichs Sicherheit angefangen. Wir hatten die politische Vorgabe, mehr Frauen in die Geschäftsleitung der Polizei zu bringen. In meinem Bereich mit 150 Mitarbeitenden war zu dieser Zeit keine Frau in einer Führungsposition. Ich habe das in meine Masterarbeit aufgenommen, weil es für meinen Arbeitgeber, aber auch für mich Sinn ergab, und weil es allgemein ein wichtiges und aktuelles Thema ist.
Ende 2022 hatten wir einen Frauenanteil von 25 Prozent und im Jahr 2023 konnten wir diesen schon auf 30 Prozent erhöhen. Somit kann ich die Frage mit einem fundierten «ja» beantworten.
Rund 20 Prozent, in absoluten Zahlen sind das zehn von rund 50 Kaderpositionen, je nachdem, wie man genau Kader definiert. Was mich speziell freut ist, dass wir in der siebenköpfigen Geschäftsleitung den Frauenanteil per 1. Januar 2024 ebenfalls um eine auf zwei Frauen erhöhen konnten. Für Polizeiverhältnisse kann man sich damit sehen lassen.
Mit zwei Frauen in der siebenköpfigen Geschäftsleitung kann man sich für Polizeiverhältnisse sehen lassen.
Anjan Sartory
Einerseits herrscht Fachkräftemangel bei der Polizei, weshalb wir ganz einfach auf fähige Frauen angewiesen sind. Ganz wichtig ist deshalb, Vorbilder in Führungspositionen zu schaffen, an denen sich junge Frauen orientieren können. Sonst bleibt es bei Ausnahmeerscheinungen. Frauen können zudem ein Polizeikorps für ihre Bedürfnisse sensibilisieren. Ein banal klingendes Beispiel ist etwa die Polizeiausrüstung: Körperschutz-Ausrüstung ist oftmals nicht an die Anatomie von Frauen angepasst.
Vor allem sind es fehlende Vorbilder, da Führungspersonen noch immer zumeist Männer sind. Und wie in anderen Berufen spielt auch die Familienplanung hinein.
Im Rahmen meiner Masterarbeit zeigte sich: Viele Polizistinnen sind noch eher jung, ihnen fehlt die Erfahrung, zudem wollen sie teilweise schlicht nicht Karriere machen. Das liegt vielleicht auch an der Selbsteinschätzung. Männer gehen eher selbstbewusster in einen Bewerbungsprozess und bewerben sich für eine höhere Stelle, auch wenn sie vielleicht kaum alle Anforderungen erfüllen. Das ist allgemein belegt und auch wir beobachten das. Frauen tun dies weniger und schätzen ihre Fähigkeiten eher realistischer ein. Wenn man im Bewerbungsprozess genauer hinschaut, relativieren sich diese gefühlten Unterschiede natürlich zugunsten der Frauen.
Frauen schätzen ihre Fähigkeiten eher realistischer ein.
Anjan Sartory
In erster Linie brauchen wir jeweils die am besten geeignete Person. Durch ein kompetentes Auswahlgremium von drei Personen, zusammengesetzt mit je zwei Führungskräften von Polizeiseite und einer Person des städtischen Personaldienstes, wird der Fokus auf die Kompetenzen sichergestellt. Wichtig ist, dass wir möglichst Bedingungen schaffen, in denen sich auch weibliche Führungskräfte wohlfühlen.
Durch sie fliessen andere Themen und Sichtweisen ein – etwa, wenn eine Mutter mit einem schulpflichtigen Kind in der Geschäftsleitung sitzt. Hinweise aus ihrer Sicht können dazu beitragen, dass wir Angelegenheiten ganzheitlich betrachten. Dadurch nehme ich auch eine positive und zufriedene Atmosphäre wahr.
Eine heikle Frage, wenn man sich nicht vorwerfen lassen will, alte Geschlechterklischees zu bedienen. Ich erlebe aber, dass Frauen eher empathischer sind als Männer und sich besser in ein Gegenüber hineinversetzen können. Gegenüber Frauen auf jeden Fall. Und gemischte Teams sind so wie überall auch bei der Polizei eine Bereicherung.
Wir müssen nach wie vor mehr Frauen für den Beruf begeistern und in die Ausbildung bringen. Rechnerisch ist das einfach: Der Frauenanteil in den Polizeischulen liegt bei rund 30 Prozent. Können wir diesen erhöhen, wirkt sich das auch in den Korps aus und letztlich auch bei den Führungspositionen.
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