Wirtschaftsdelikte im grossen Stil sorgen immer wieder für Schlagzeilen und verschaffen den betroffenen Unternehmen ungewollte Medienpräsenz. Doch auch kleinere und mittlere Unternehmen sehen sich mit kontraproduktivem Arbeitsverhalten in Form von Betrug, Korruption, Machtmissbrauch und Ähnlichem konfrontiert. Schweizer Firmen erleiden dadurch jährlich Verluste in Millionenhöhe. Die Täter finden sich dabei oft unter den eigenen Angestellten und im Management. Das kontraproduktive Arbeitsverhalten reicht aber weit über direkt sichtbare finanzielle Schädigungen hinaus und beinhaltet auch Verhaltensweisen wie Absentismus, Mobbing oder sexuelle Belästigung. Neben einem klaren Verhaltenskodex und einer entsprechenden Unternehmenskultur bietet sich ein Ansetzten bei der Person selbst – anstelle der Situation – an, um solch mehr oder weniger gravierendem Fehlverhalten zu begegnen.
In der Tradition der Eigenschaftstheorien hat sich in den letzten Jahren mit der expliziten Erfassung sogenannter dunkler Persönlichkeitseigenschaften ein neuer Ansatz entwickelt, um sozial aversives Verhalten vorauszusagen. Besonders vielversprechend ist dabei die dunkle Triade, bestehend aus den Persönlichkeitseigenschaften Narzissmus, Machiavellismus und Psychopathie, welche in jüngerer Zeit um die Eigenschaft Sadismus zur dunklen Tetrade ergänzt wurde. Wurde Machiavellismus von Beginn an als subklinisches und dimensional ausgeprägtes Konstrukt konzeptualisiert, so weisen Narzissmus, Psychopathie und Sadismus eine lange (forensisch-)klinische Tradition auf. Dabei ist im Sinne einer kategorialen Diagnostik bei Erfüllung der entsprechenden Kriterien eine klinische Störung vorliegend oder eben nicht. Die Überführung dieser Konstrukte in die Persönlichkeitspsychologie geht mit der Annahme einer Normalverteilung der entsprechenden Persönlichkeitseigenschaften in der Allgemeinbevölkerung einher; jeder Mensch kann also mehr oder weniger stark ausgeprägte dunkle Eigenschaften besitzen, ohne dass diese dadurch als pathologisch zu qualifizieren wären. Die noch junge Forschung zur dunklen Tetrade konnte bereits diverse Zusammenhänge mit sozial unerwünschtem Verhalten in verschiedensten Kontexten aufzeigen. Die dabei wiederholt gefundene, über die dunkle Triade hinausgehende prädiktive Kraft des Sadismus bezüglich sozial unerwünschten Verhaltens spricht für die Inklusion desselben zur dunklen Tetrade.
Hinter dem unverfänglichen Namen Fragebogen Berufsspezifische Persönlichkeitsstruktur (FBP) verbirgt sich ein Selbsterhebungsinstrument zur Erfassung der dunklen Tetrade. Der FBP umfasst 40 Items, welche spezifisch auf den Arbeitskontext angepasst wurden. Theoriegeleitet wird eine fünffaktorielle Struktur mit den vier Tetrade-Eigenschaften und zwei Subskalen für Psychopathie postuliert. Als augenscheinlich naheliegende Population zur Untersuchung dunkler Persönlichkeitseigenschaften, die mit sozial unerwünschtem Verhalten einhergehen, bieten sich Gefängnisinsassen an, welche solches bereits nachweislich gezeigt haben. Umso mehr mag es erstaunen, dass bisher weder die dunkle Triade noch die Tetrade an einer solchen Population untersucht wurde. Für die Untersuchung wurde der FBP daher 107 männlichen Insassen aus sechs verschiedenen Deutschschweizer Gefängnissen vorgelegt. Als Vergleichsstichprobe dienten 843 Studierende und Berufstätige.
Die Ergebnisse der Studie stützen die Theorie der dunklen Tetrade und liefern erste Hinweise für die Validität des FBP. So konnte die Fünf-Faktoren-Struktur des FBP faktoranalytisch bestätigt werden, und die Gefängnisinsassen erzielten in allen vier Tetrade-Eigenschaften signifikant höhere Werte als die Teilnehmenden der Vergleichsstichprobe. Zudem konnte der dunklen Tetrade, wie sie mit dem FBP erfasst wird, eine prädiktive Kraft bezüglich sozial unerwünschten Verhaltens bescheinigt werden, indem sie anhand einer Diskriminanzfunktion vorauszusagen vermochte, ob sich eine Person im Gefängnis befindet oder nicht. Basierend auf den durchgeführten Analysen und inhaltlichen Überlegungen, wurde die Entfernung von vier Items und die Umformulierung von vier weiteren Items empfohlen.
Nach allfälligen Anpassungen vor dem Hintergrund der Vorschläge zur Überarbeitung bzw. Entfernung der diskutierten Items sollte in einem nächsten Schritt die Prüfung der konvergenten und diskriminanten Validität geschehen. Mit der Bestätigung der prädiktiven Kraft bezüglich der Inhaftierung wurde ein erster Beitrag zur Vorhersagevalidität des FBP bezüglich sozial unerwünschten Verhaltens geleistet. In einem weiteren Schritt wären etwas enger gefasste Aussenkriterien sinnvoll, welche sich direkt auf das spezifische Verhalten am Arbeitsplatz beziehen. Hierzu wäre der Einsatz einer Skala zur Erfassung von kontraproduktivem Arbeitsverhalten denkbar.
Die errechnete Diskriminanzfunktion bietet sich an, um im Personalauswahlverfahren anhand eines Gesamtscore jene Bewerber auszuschliessen, welche eine Kombination aller vier Eigenschaften auf hohem Niveau mitbringen und somit ein hohes Potenzial mitbringen, kontraproduktives Arbeitsverhalten an den Tag zu legen. Um ein individuelles und besser zuordenbares Gesamtbild des Probanden zu erhalten, scheint die auf Skalenindizes basierende Auswertung sinnvoll. Ein solches individuelles Risikoprofil könnte sich im Rahmen von Personalentwicklungs- und Teambildungsmassnahmen als hilfreich erweisen, da es adressatengerechte Interventionen erlaubt und frühzeitig auf mögliche Schwierigkeiten auf der interpersonellen Ebene aufmerksam macht.
Die Anwendung in der Praxis sollte nicht unüberlegt geschehen. So sollte im Sinne eines multimethodalen Vorgehens immer berücksichtigt werden, dass ein Selbstbeurteilungsinstrument wie der FBP niemals isoliert betrachtet werden kann, sondern immer als ergänzendes Diagnoseinstrument zu sehen ist. Zudem besteht bei einem Selbstbeurteilungsinstrument, welches gesellschaftlich aversiv wahrgenommene Konstrukte erfasst, immer auch die Gefahr einer motivationalen Verzerrung der Antworten in Richtung sozialer Erwünschtheit. Zur diesbezüglichen Kontrolle könnte der Einsatz einer sogenannten Lügenskala in Betracht gezogen werden. Ausserdem könnte unter anderem der Miteinbezug von Verhaltensbeurteilungen und biografischen Angaben hilfreich sein. Bei sachgemässer Anwendung dürfte mit dem Fragebogen Berufsspezifische Persönlichkeitsstruktur zukünftig ein ökonomisches Instrument vorliegen, welches im Rahmen der Personaldiagnostik zur Vermeidung sozial unerwünschten bzw. kontraproduktiven Verhaltens am Arbeitsplatz beitragen kann.
Dieser Beitrag erschien als Erstpublikation im Punktum.
Der Schweizerische Berufsverband für Angewandte Psychologie SBAPverleiht den Preis für Masterarbeiten für herausragende Arbeiten im konsekutiven Masterstudiengang am Departement Angewandte Psychologie. Pro Vertiefungsrichtung wird an der Diplomfeier jährlich je ein Preis vergeben. Die drei gleichwertigen Preise gehen an innovative angewandt-psychologische Masterarbeiten, die Neues explorieren und noch wenig bearbeitete Fragestellungen der Angewandten Psychologie thematisieren.