Autor: Guy Studer
Passiert kein Unglück, so wird Lia Wälti die Schweizer Fussball-Nationalmannschaft am 2. Juli 2025 in Basel als Captain zum Eröffnungsspiel der Europameisterschaft (EM) auf das Spielfeld führen. Für ihre Verdienste wurde die 31-jährige Emmentalerin erst im Januar an der Swiss Football Night als beste Nationalspielerin des Jahres 2023 ausgezeichnet. Eine hart verdiente Auszeichnung: Unter Vertrag steht sie seit 2018 beim englischen Topteam Arsenal, mit dem sie sich Anfang Oktober für die Champions League qualifiziert hat. Neben Ligabetrieb und verschiedenen Terminen für die Nationalmannschaft managt sie auch noch ihr Studium an der Fernfachhochschule Schweiz (FFHS). Dieses wird sie bald mit dem Bachelor in Betriebsökonomie, Schwerpunkt Sportsmanagement, abschliessen. Für das Interview hat sie dennoch etwas freie Zeit gefunden und spricht mit uns online, während sie die Sonnenstrahlen in einem Park in London geniesst. Wie unter FHlern – und auch Sportlern – ist man sogleich per Du.
Lia Wälti: Ja, jetzt beginnt die stressige Zeit, es wird sehr intensiv. Allgemein ist dieses Jahr ziemlich vollbepackt, nun aber beginnt die Champions-League-Saison, auch die anstehende Europameisterschaft bringt viele Termine. Ich schreibe zusammen mit meiner Schwester auch noch ein Kinderbuch – und zu allem hin kommt natürlich das Studium.
Es geht dem Ende entgegen und das vierte Jahr ist das schwierigste. Daher bin ich schon froh, wenn ich es dann auch mal geschafft habe. Gerade auch, weil dieses Jahr so intensiv ist, bin ich derzeit öfters etwas im Rückstand, doch die Hochschule kommt uns sehr entgegen, damit wir alles unter einen Hut bringen können.
Das Wichtigste für mich ist der klare Plan für mein Zeitmanagement. Wenn ich weiss, dass ich einen halben Tag frei habe, plane ich fix ein paar Stunden ein, um zu lernen. Damit ich diese Zeitfenster aber auch wirklich dazu einsetze, ist die Motivation entscheidend. Ich muss ein klares Ziel haben und wissen, wo ich hin will, um mich zu motivieren. Dann nutze ich meine Zeit auch effizient. Und hier ist die Sache klar: Ich will mein Studium abschliessen, denn ich weiss, wie wichtig es für meine Zukunft ist, diesen Bachelor in der Tasche zu haben.
Ich finde es interessant, dass viele diese Frage ähnlich stellen und davon ausgehen, man habe mehr Zeit, wenn man verletzt ist. Aber es ist tatsächlich das Gegenteil. Die Reha ist viel zeitintensiver als der Alltag ohne Verletzung. Ich war zu Beginn vier Wochen an Krücken und konnte mich nicht richtig bewegen, auch nicht lange sitzen. Allerdings hat die Verletzung doch auch den Effekt, dass die Aufmerksamkeit in dieser Zeit nicht so stark auf dem Sport liegt. Man kann also den Fokus etwas besser auf das Studium richten.
(Überlegt) Marketing finde ich grundsätzlich sehr interessant. Auch Event- und Sportmanagement sind Gebiete, die für mich nahbar und auch greifbar sind. Ich mag es, wenn etwas läuft und man etwas organisieren und durchdenken muss. Wenn ich mir etwas auch in der Praxis vorstellen oder direkt anwenden kann, macht mir das ohnehin mehr Spass als abstrakte Fächer, wie beispielsweise Mathematik.
Ja, das würde ich schon sagen. Ich war schon immer jemand, die den Ausgleich brauchte und daneben auch noch etwas machte. Das zieht sich durch meine ganze Karriere. Und es hilft sicher, das im Studium Gelernte beim Sport zu verarbeiten, insbesondere wenn ich im Stress bin. Aber auch die intellektuelle Weiterentwicklung als solches ist mir wichtig.
Ja. Ich habe vorher in Deutschland gespielt, dort kannte ich kaum eine Spielerin, die nicht studierte. Da machen die meisten auch das Abitur, was auch am Schulsystem liegt. Da ist es naheliegend, ein Studium zu absolvieren. Hier in England ist das systembedingt etwas anders. Doch auch hier sind es etwa ein Viertel der Teammitglieder, die studieren oder ein Studium absolviert haben. Es sind ja viele Nationalitäten vertreten, darunter gibt es etliche, die ein Fernstudium in ihrem Heimatland absolvieren können, so wie ich auch. Man ist also in guter Gesellschaft.
Konkrete Gedanken gibt es nicht. Dem Sport treu zu bleiben, kann ich mir aber sehr gut vorstellen, in welcher Form auch immer. Das ist das Schöne für unsere Generation im Frauenfussball: Frauen konnten unseren Sport lange Zeit nicht richtig ausüben, also nicht als Profispielerinnen. Wir gehören zu einer der ersten Generationen in einem noch jungen Profisportsektor. Damit werden wir auch nach unserer Karriere auf dieser Schiene weiterfahren können, da es immer mehr offene Stellen gibt im professionellen Frauenfussball. Wo es mich da hintreiben könnte, kann ich jedoch noch nicht abschätzen.
Ich für mich schon, ja, jedenfalls kann ich es mir kaum vorstellen, nach dem Fussball nie wieder etwas machen zu müssen. Auch wenn ich diese Vergleiche mit den Männern selber nicht so mag, ist es eben doch so, dass wir eine völlig andere Ausgangslage haben. Im Gegensatz zum globalen Milliardenmarkt des Männerfussballs geht es bei uns noch natürlich familiär und ehrlich zu und her. Und es ist schön, dass diese Balance bisher auch bewahrt werden kann. Demgegenüber sehe ich teilweise männliche Fussballer, die grosse Mühe haben, nach dem Fussball in eine Karriere einzusteigen. Auch müssen sie ihren Lebensstil anpassen und können den gewohnten Standard nicht immer halten.
So ist es. Es gibt sehr viele Spielerinnen, die gleich am ersten Tag nach Karriereschluss in einen Job einsteigen müssen, um überhaupt über die Runden zu kommen. Ihnen bleibt keine Zeit für die Vorbereitung und den Übergang. Das kann schon schwierig sein. Daher hoffe ich für mich schon auch, dass ich mir etwas aufbauen kann für die Zeit danach und mir eine Auszeit nehmen kann, falls ich sie benötigen sollte.
Ja, das ist ein absolutes Highlight. Es gibt nicht viele Sportler:innen, die ein Turnier im eigenen Land austragen können. Wir bilden so gesehen eine Ausnahme, von der wir vor einigen Jahren kaum zu träumen gewagt hätten. Daher kann man sicher sagen, dass das Turnier ein i-Tüpfelchen wird und wir alles tun werden, damit wir das positiv in Erinnerung behalten können.
Für mich ist es die Tatsache, dass ich die ganze Familie und alle Freund:innen dabeihaben kann. Die Mehrheit meiner Fussballkarriere, also fast die gesamte Zeit, habe ich im Ausland verbracht. Nun die Gelegenheit zu erhalten, diese 30 bis 40 Menschen, die immer unterstützend an meiner Seite waren, zuhause bei einem grossen Turnier im Heimstadion dabeizuhaben, ist ein Kindheitstraum, den man sich nie auszusprechen traut, weil man nie weiss, ob er Realität werden könnte. Und wir spielen ja auch in Bern im Wankdorf, also wirklich mein ursprüngliches Heimstadion von YB. Das ist einfach super.
Es ist vor allem die grosse Chance, unserer Sportart einen grossen Schub zu geben und etwas bewegen zu können. Ich hoffe auch, dass sich die Menschen in den Stadien von der Qualität des aktuellen Frauenfussballs überzeugen können. Denn dieser macht enorme Fortschritte, die in den Köpfen vielleicht noch nicht immer ganz angekommen sind. Für mich ist es also gleichermassen ein Highlight wie eine Chance.
Ich mache nicht so gerne Prognosen. Fakt ist, und das ist kein Geheimnis: Wir haben sehr viel Talent im Team, dazu viel Qualität und Erfahrung. Fakt ist aber auch, dass wir zwei schwierige Jahre hinter uns haben. Mit unserer Erfahrung und dem Talent der Jungen und Frischen können wir sicher etwas erreichen. Erst müssen wir unser erklärtes Ziel erreichen, nämlich, die Vorrunde zu überstehen. Danach folgt die K.o.-Runde, und da ist alles offen.