In der Schweiz gibt es zahlreiche leerstehende Gebäude und Industriebrachen. Diese bieten ein grosses Potenzial für vielfältige temporäre Nutzungen. Solche Zwischennutzungen können einerseits einen verlassenen Ort zu neuem Leben erwecken und ihn wieder attraktiv machen. Anderseits leisten sie einen Beitrag an einen schonenden Umgang mit dem immer knapper werdenden Bauland.
Leerstehende Industriebauten lassen sich allerdings oft nicht einfach so nutzen, da sie lediglich aus einer Stahl- oder Betonhülle bestehen. Im Sommer wird es heiss, im Winter kalt. Auch die akustischen Verhältnisse sind meistens nicht ideal. Die Forschenden setzten sich zum Ziel, gemeinsam mit Partner*innen einen modularen Baukasten aus Holz zu entwickeln, um brache Flächen schnell und auf einfache Weise vorübergehend nutzbar zu machen.
Ein Physiotherapeut wird als erster das Modul nutzen und darin versuchsweise seine Praxis einrichten.
Die Forschenden entwickeln Module eines Baukastens, der sich für diverse Nutzungen eignet, vom Atelier über einen Laden und einen Co-working-Raum bis hin zur Wohnung. Zentrale Komponente bildet ein digitaler Generator, mit dem sich dreidimensional darstellen lässt, wie vorgefertigte Elemente je nach Bedarf und Ansprüchen der Nutzenden zu einem Modul zusammengefügt werden können.
In einer digitalen Produktionskette werden alle Komponenten gefertigt und anschliessend durch das Projektteam zu verschiedenen Modullösungen zusammengebaut. Dabei testen die Forschenden unter anderem Rahmenelemente, Verbindungen und Wandaufbauten aus unterschiedlichen Schichten.
So die Theorie: Aus dem modularen Baukasten entstehen Raummodule für Innenausbauten, die zwei Personen gemeinsam montieren können.
Das erste Ergebnis des Projekts ist ein Prototyp des modularen Baukastens. Er hat eine Fläche von 3,6 mal 3,6 Metern und besteht aus einer Tragstruktur sowie vorgefertigten Elementen für Boden, Wände und Dach. Der Prototyp steht im «Dispo» in Nidau, einer ehemaligen Fabrikhalle, die verschiedene Formen von Zwischennutzungen beherbergt. Ein Physiotherapeut wird als erster das Modul nutzen und darin versuchsweise seine Praxis einrichten.
Das Baukastensystem leistet in mehreren Dimensionen einen Beitrag an eine nachhaltige Entwicklung.
Die Forschenden stellten hohe Anforderungen an ihr Produkt: Das System muss so ausgestaltet sein, dass zwei Personen ohne technische oder bauliche Vorkenntnisse es schaffen, das Modul in einem Tag aufzubauen und in der gleichen Zeit auch wieder zu demontieren. Vor allem an den Verbindungen zwischen den einzelnen Wandschichten hatte das Projektteam zu tüfteln. Dank kurzen Schraubgewinden gelang es schliesslich, eine einfache und gleichzeitig stabile Befestigung zu erreichen, die sich auch leicht wieder lösen lässt.
Und die Praxis: So sieht das Raummodul aus, wenn es aufgebaut ist. Weitere Elemente, die es noch zu entwickeln gilt, sind Dämmung und Wände.
Basierend auf den Erfahrungen mit der Nutzung des Prototyps werden die Forschenden die Module und den Baukasten optimieren. Zu diesem Zweck sind auch verschiedene Tests und Messungen an dem Modul in Nidau vorgesehen. Gemeinsam mit den Partner*innen aus der Wirtschaft streben die Forschenden an, den Baukasten zur Serienreife zu bringen, damit bald einmal möglichst viele solcher Module in der Schweiz Raum für neue Nutzungen bieten.
Hier ist das Modul mit verbauter Dämmung, Wände und Boden – aber ohne Spitzdach. Die Elemente sind flexibel einsetzbar.
Wenn bestehende Gebäude weitergenutzt werden können, lassen sich Ressourcen sparen, es braucht weniger Land und Baumaterialien. Zwischennutzungen sind zudem günstig, was gerade für Kleinbetriebe und Start-ups einen Vorteil darstellt.
Vorübergehende Nutzungen führen zu einem spannenden Dominoeffekt: Leerstehende Gebäude gewinnen an Attraktivität, wodurch weitere Nutzungsformen angezogen werden, was wiederum andere Brachen interessant macht für potenzielle neue Nutzungsarten. Das Baukastensystem leistet in mehreren Dimensionen einen Beitrag an eine nachhaltige Entwicklung.
Das Forschungsprojekt für einen modularen Baukasten, der bei Zwischennutzungen von leerstehenden Gebäuden und Industriebrachen zum Einsatz kommt, trägt den Namen «à Disposition».
Es wird von Innosuisse, der Schweizerischen Agentur für Innovationsförderung, unterstützt und steht unter der Leitung von Christophe Sigrist.
Sigrist war Professor für Ingenieurholzbau im Departement Architektur, Holz und Bau der BFH. Seit 2022 ist er teilpensioniert und begleitet das Projekt «à Disposition» am Institut für digitale Bau- und Holzwirtschaft bis zum Abschluss weiter.
Weiterführende Informationen: Zum Forschungsprojekt
Dieser Artikel erschien zuerst im Anzeiger Region Bern. Er ist Teil einer Serie, in der Forschungsprojekte der Berner Hochschulen vorgestellt werden.