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«Sozialer Wandel ist weitaus mehr als ein Parteiprogramm»

Wie können parteipolitisch neutrale Organisationen ihre politischen Interessen durchsetzen und damit Einfluss auf die Gesellschaft nehmen?

Am Beispiel der Frauenzentrale St.Gallen ist Pamela Städler, Absolventin des MAS Management of Social Services an der OST – Ostschweizer Fachhochschule, dieser Frage in ihrer Masterarbeit nachgegangen. Im Interview spricht sie zusammen mit Jacqueline Schneider, Geschäftsführerin der Frauenzentrale St.Gallen, über das Spannungsfeld zwischen politischer Einflussnahme und Neutralität.

 

Pamela Städler, wie sind Sie auf die Idee gekommen, in Ihrer Masterarbeit nach politischen Handlungsmöglichkeiten für parteipolitisch neutrale Organisationen zu suchen?

Pamela Städler: Sozialpolitik hat mich schon immer interessiert, deshalb habe ich Soziale Arbeit studiert und deshalb engagiere ich mich als Gemeinderätin in der Kommunalpolitik. Zudem begegnet mir Gleichstellungspolitik als alleinerziehende Mutter von zwei Kindern immer wieder. Die Rolle und der Einfluss meiner Arbeitgeberin, der Frauenzentrale St.Gallen, in diesen Themenfeldern interessiert mich besonders. Dadurch stellte sich mir die Frage, welche Handlungsoptionen parteipolitisch neutrale Vereine wie die Frauenzentrale St.Gallen überhaupt haben, um sich am politischen Geschehen zu beteiligen.

 

Was ist die Frauenzentrale St.Gallen?

Pamela Städler: Die Frauenzentrale St.Gallen ist ein parteipolitisch und konfessionell unabhängiger sowie gemeinnütziger Verein. Die rund 500 Mitglieder unterstützen den Verein finanziell und ideell. Seit Jahrzehnten engagiert sich die Frauenzentrale St.Gallen gesellschaftspolitisch für die Gleichstellung von Mann und Frau. Dabei fokussiert sie sich auf drei Schwerpunktthemen: Frau und Familie, wobei es um die partnerschaftliche Aufteilung von Haus- und Familienarbeit geht; Frau und Beruf mit dem Fokus der Vereinbarkeit von Familie und Beruf sowie Frau und Politik, wo die Parität in politischen Entscheidungsprozessen im Fokus steht.

 

Jacqueline Schneider, was sind die Ziele der Frauenzentrale St.Gallen?

Jacqueline Schneider: Sie engagiert sich für die Stärkung der Frauen in ihren Lebenssituationen und für ihre Gleichstellung in der Gesellschaft. Ausserdem setzt sie sich für die Parität in politischen Gremien und in Verwaltungsräten sowie für Lohngleichheit und finanzielle Unabhängigkeit von Frauen ein. Sie bietet Projekten und Fach- bzw. Dienstleistungsstellen zudem eine Trägerschaft. Die Ziele der Frauenzentrale St.Gallen sind für alle Frauen relevant – egal ob aus dem bürgerlichen oder dem linken Lager. Das verbindet und holt die Frauen unabhängig von der Politik in ihrem Alltag ab.

Die Ziele der Frauenzentrale St.Gallen sind für alle Frauen relevant – egal ob aus dem bürgerlichen oder dem linken Lager. Das verbindet und holt die Frauen unabhängig von der Politik in ihrem Alltag ab.

Jacqueline Schneider
Geschäftsführerin der Frauenzentrale St.Gallen

Weshalb ist die Frauenzentrale St.Gallen parteipolitisch neutral?

Pamela Städler: Die Idee der Frauenzentrale St.Gallen ist, dass sich alle Frauen angesprochen fühlen, unabhängig von ihrer politischen Zugehörigkeit. Von bürgerlich bis progressiv sollen alle dabei sein können. Dies zeigt auch die vielfältige Zusammensetzung der Vereinsmitglieder mit ihren unterschiedlichen politischen Hintergründen. Deshalb verstand sich die Frauenzentrale St.Gallen nie als parteipolitische Organisation. Sozialer Wandel ist weitaus mehr als ein Parteiprogramm.
Ein positiver Nebeneffekt der parteipolitischen Neutralität ist, dass die Frauenzentrale St.Gallen steuerbefreit ist. Politische Aktivitäten stellen dabei kein Problem dar, sofern die Frauenzentrale St.Gallen in einer gesamthaften Betrachtung nicht als politische Organisation wahrgenommen wird.

 

Haben parteipolitisch unabhängige Organisationen die Möglichkeit, politisch Einfluss zu nehmen und gleichzeitig neutral zu bleiben?

Pamela Städler: Ja, das haben sie dank unseres Politsystems der direkten Demokratie. Einzelpersonen wie auch Organisationen haben diverse Rechte und Möglichkeiten, sich an der Politik zu beteiligen. In meiner Masterarbeit habe ich fünf relevante Handlungsoptionen identifiziert.

Parteipoltisch neutrale Organisationen können eine breite Palette an Beteiligungsformen wählen, um an der Meinungs- und Willensbildung der Bevölkerung und am politischen Entscheidungsprozess teilzunehmen.

Pamela Städler
Absolventin des MAS Management of Social Services an der OST – Ostschweizer Fachhochschule, Stellenleiterin Selbsthilfe St.Gallen und Appenzell, Gemeinderätin in Lichtensteig

Können Sie diese Handlungsoptionen ausführen?

Pamela Städler: Als erstes können Vereine mit gezielter Informations- und Aufklärungsarbeit der Öffentlichkeit dazu beitragen, das Bewusstsein für ihre Themen in der Gesellschaft zu schärfen und sogar direkten Einfluss auf die politische Willensbildung der Bevölkerung nehmen. Diese Sensibilisierungsarbeit kann verschiedene Formen haben – von Vorträgen über Petitionen bis hin zu Social Media Kampagnen.
Die zweite Handlungsoption sehe ich im Lobbying. Die Politik ist auf das Wissen von Expertinnen und Experten angewiesen. Mit Lobbying können die Interessen der Organisation vertreten und politische Entscheidungsprozesse beeinflusst werden.
Drittens spielt ein breites Monitoring eine wesentliche Rolle in der politischen Einflussnahme. Durch das sorgfältige Überwachen der Politprogramme von Parteien, Kampagnen von Interessensgruppen, den politischen Geschäften auf lokaler, kantonaler und Bundesebene sowie deren aktuellen Stand können effektive Massnahmen geplant werden, um eigene Interessen erfolgreich zu platzieren und zu vertreten.
Zentral ist auch die vierte Option: die Netzwerkarbeit. Dabei geht es um eine langfristige Zusammenarbeit verschiedener Akteurinnen und Akteuren, um ein gemeinsames Ziel zu erreichen.
Die fünfte Handlungsoption ist die Nutzung von Beteiligungsrechten. Organisationen können eine breite Palette an Beteiligungsformen wählen, um an der Meinungs- und Willensbildung der Bevölkerung und am politischen Entscheidungsprozess teilzunehmen.  Dazu gehören zum Beispiel Demonstrationen, die Mitarbeit in regionalen Projekten, die Teilnahme an Wahlkampagnen oder auch Boykotts.

 

Welche möglichen Massnahmen haben Sie basierend auf diesen Handlungsoptionen für die Frauenzentrale St.Gallen identifiziert, damit sie sich noch stärker politisch einbringen kann?

Pamela Städler: Die Frauenzentrale St.Gallen kann ihr Wissen, ihre Anliegen und ihre Ziele mit Sensibilisierungsarbeit der Öffentlichkeit zugänglich machen. Sie kann zum Beispiel an Podiumsdiskussionen teilnehmen oder Broschüren mit ihren Informationen drucken lassen. Im Bereich Lobbying empfehle ich der Frauenzentrale St.Gallen eine umfassende Kommunikationsstrategie zu entwickeln, um professionelle und zielgerichtete Lobbyarbeit zu betreiben. Auch ein Monitoring-Konzept könnte ihr helfen, ihre Anliegen zum richtigen Zeitpunkt bei den entsprechenden Stellen einzubringen. Ein umfassendes Monitoring ist anspruchsvoll und zeitintensiv – zahlt sich aber für die Einflussnahme längerfristig aus. Tragfähige Netzwerke und starke Bündnisse spielen für die Frauenzentrale St.Gallen eine bedeutende Rolle, ich empfehle daher eine umfassende Analyse ihrer Anspruchsgruppen.

 

Jacqueline Schneider, gibt es Massnahmen, die Sie von der Masterarbeit von Frau Städler für die Frauenzentrale übernehmen werden?

Jacqueline Schneider: Ich sehe in den Handlungsempfehlungen von Pamela Städler sehr viel Positives für die Frauenzentrale St.Gallen. Eine erneute Analyse der Anspruchsgruppen und die Idee eines einheitlichen Kommunikationskonzeptes nehme ich gerne mit in die Diskussion mit dem Vorstand. Besonders gut gefallen haben mir ausserdem die Ideen, die sie für die Jahresprogramme hat. Die eine oder andere Idee werde ich in die Planung für das nächste Jahr 2026 aufnehmen.

 

Frau Städler schreibt in ihrer Arbeit, dass die Frauenzentrale damit rechnen muss, dass sie von ihrer Umwelt als «Vertreterin des linken Politikspektrums» wahrgenommen wird. Wie würde die Frauenzentrale auf solche Vorwürfe reagieren?

Jacqueline Schneider: Ich würde dies nicht einen Vorwurf nennen, sondern wie Pamela Städler es in ihrer Arbeit ebenfalls deklariert, ein Spannungsfeld. Dieses gilt es in der Tat auszuhalten.

MAS Management of Social Services

Wer Organisationen des Sozialwesens erfolgreich managen will, muss den Umgang mit den typischen Spannungsfeldern beherrschen. Ökonomie, Politik und Profession bilden dabei das «magische» Spannungsdreieck, das unser Management-Handeln bestimmt. Im MAS Management of Social Services entwickeln die Teilnehmenden ein vertieftes Verständnis von Führungsaufgaben und branchenspezifischem Management.

Dieser Artikel wurde als Erstpublikation auf weiterwissen.ch veröffentlicht.

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