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Wie findet Unterricht an Hochschulen im Jahr 2030 statt?

Lernen mit dem Chatbot, Vorlesungen in der Virtual Reality und Prüfungen, die von Künstlicher Intelligenz korrigiert werden – so könnte man sich die Lehre an Hochschulen im Jahr 2030 vorstellen. Wie realistisch ist dieses Zukunftsszenario? Im Interview zeigen Prof. David Kobler, Kursleiter des CAS Hochschuldidaktik, und Prof. Dr. Annette Bauer-Klebl, Projektleiterin am Zentrum für Hochschulbildung (ZHB) der OST – Ostschweizer Fachhochschule, die Chancen und Risiken von Digitalisierung und KI in der Hochschullehre auf.

Autorin: Nora Lüthi, Mitarbeiterin Kommunikation Weiterbildung OST

Wie hat die Digitalisierung die Lehre an Hochschulen bisher verändert?

Prof. David Kobler: Dank der Digitalisierung gibt es heute mehr Möglichkeiten, individualisiertes und adaptives Lernen der Studierenden zu gestalten und zu fördern. Es kann eine Lernumgebung geschaffen werden, die die individuellen Lernvoraussetzungen und -bedürfnisse der Studierenden berücksichtigt. Auf der Lernplattform «Moodle» können die Studierenden beispielsweise formative Lernkontrollen lösen und erhalten, sofern das so hinterlegt ist, automatisiertes Feedback zu ihren Antworten sowie eine Bewertung ihrer Leistung und eine Empfehlung für ihr weiteres Lernverhalten. Dadurch können die Studierenden ihren Kompetenzstand direkt einschätzen und ihr Lernen anpassen.

Ergeben sich dadurch auch Vorteile für die Dozierenden?

Prof. Dr. Annette Bauer-Klebl: Ja, die Dozierenden werden entlastet. Sie müssen den Studierenden nicht immer selbst Feedback zu den Übungen geben. Ausserdem erhalten sie individuelle und aggregierte Lerndaten der Studierenden. Wenn sie zum Beispiel ein Quiz über das ganze Semester laufen lassen, können sie einschätzen, wo die Studierenden stehen. Darauf basierend können sie ihre Lehre anpassen und ihr Lernangebot entsprechend gestalten. Auf der anderen Seite ist es sehr aufwendig, Systeme zu programmieren, die individuelles Feedback geben können. Denn alles muss im Voraus bedacht werden: welche Aufgaben auf welchem Niveau angeboten werden, welche typischen Fehler gemacht werden könnten, welches spezifische Feedback dazu gegeben werden soll und welche Anschlussaufgaben es geben könnte.

«In naher Zukunft ist es denkbar, dass wir mit den Daten der KI prognostische Aussagen über Studierende machen können, also vorhersagen können, ob die Studierenden aufgrund ihres Wissensstandes eine Prüfung bestehen werden und ob sie das Studium abschliessen können.» 

Prof. Dr. Annette Bauer-Klebl

Projektleiterin am Zentrum für Hochschulbildung (ZHB) an der OST – Ostschweizer Fachhochschule

Prof. Dr. Annette Bauer-Klebl
Prof. Dr. Annette Bauer-Klebl

Hier könnte Künstliche Intelligenz (KI) helfen?

Prof. Dr. Annette Bauer-Klebl: Genau. Es gibt bereits heute adaptive KI-gestützte Lerntutoren. Diese intelligenten Tutorensysteme ermöglichen es zum Beispiel, offene Aufgabenformate einzusetzen. Die KI kann die Antworten der Studierenden auswerten, auf deren Qualität bewerten und entsprechendes Feedback geben. Anschliessend kann die KI die Studierenden mit Fragestellungen der nächsten Entwicklungsstufe konfrontieren, wie es in der Pädagogik empfohlen wird. So wird das Lernverhalten optimal gefördert. Im deutschsprachigen Raum gibt es bereits Hochschulen, die mit solchen KI-Tutoren arbeiten.

Welche weiteren Möglichkeiten bietet KI?

Prof. Dr. Annette Bauer-Klebl: In naher Zukunft ist es denkbar, dass wir mit den Daten der KI prognostische Aussagen über Studierende machen können, also vorhersagen können, ob die Studierenden aufgrund ihres Wissensstandes eine Prüfung bestehen werden und ob sie das Studium abschliessen können. Auf dieser Basis können die Studierenden ihr Lernverhalten anpassen und die Hochschulen frühzeitig präventiv eingreifen.

Prof. David Kobler: Aus Sicht der Dozierenden ergibt sich auch hier eine Entlastung. KI-Systeme können beispielsweise selbstständig Lernangebote entwickeln. Dozierende haben zudem die Möglichkeit, Lerndaten ihrer Studierenden zu nutzen, um deren Lernverhalten besser zu verstehen und beispielsweise Muster im Lernprozess zu erkennen.

Prof. David Kobler
Prof. David Kobler

«Wenn in Zukunft ein KI-System den Studierenden jeden Schritt in ihrem Lernprozess vorgibt, birgt das gewisse Risiken. Zugespitzt könnte man sagen, dass die Studierenden dadurch unselbstständig werden und ihnen wichtige Kompetenzen wie das Planen und Reflektieren des eigenen Lernprozesses fehlen.»

Prof. David Kobler

Kursleiter des CAS Hochschuldidaktik an der OST – Ostschweizer Fachhochschule

Der Präsenzunterricht wird von manchen bereits heute als Auslaufmodell bezeichnet. Werden Dozierende mit KI in Zukunft überflüssig?

Prof. Dr. Annette Bauer-Klebl: Nein, überflüssig werden sie nicht. Dozierende bleiben ein wichtiger Bestandteil im Lehr-Lernprozess. Aber ihr Rollenbild und -verständnis wird sich sicherlich verändern. Die Wissensvermittlung wird nicht mehr so funktionieren wie heute, deshalb werden die Dozierenden noch mehr die Aufgabe haben, zu begleiten, zu unterstützen, Impulse zu geben und Denkprozesse anzuregen. Sie müssen stärker zu Coaches und Lernbegleitenden werden. Es wird wichtiger werden, die Selbstreflexion der Studierenden zu fördern und sie zu kritischem Denken und Hinterfragen anzuleiten.

Welche Risiken sehen Sie beim Einsatz von KI in der Hochschullehre?

Prof. David Kobler: Wenn in Zukunft ein KI-System den Studierenden jeden Schritt in ihrem Lernprozess vorgibt, birgt das gewisse Risiken. Zugespitzt könnte man sagen, dass die Studierenden dadurch unselbstständig werden und ihnen wichtige Kompetenzen wie das Planen und Reflektieren des eigenen Lernprozesses fehlen. Es könnte auch das «learning to the test» verstärken, das heute schon ein Thema ist. Das heisst, dass Studierende nur noch sehr spezifisch für Prüfungen lernen. Darüber hinaus wirft das Sammeln und Speichern grosser Datenmengen (Learning Analytics) durch KI datenschutzrechtliche Fragen auf.

Prof. Dr. Annette Bauer-Klebl: Viele Lerntheorien betonen den Aspekt, dass Lernen ein sozialer Prozess ist. Die Frage wird sein, welchen Anteil das individualisierte Lernen in welchen Phasen des Lernprozesses aus einer Gesamtperspektive heraus haben sollte und wo im Lernprozess der soziale Austausch – das Lernen von- und miteinander – gefördert werden soll.

Lernen ist also ein sozialer Prozess. Wie viel zwischenmenschliche Interaktion ist dabei nötig und wie viel kann KI simulieren?

Prof. Dr. Annette Bauer-Klebl: Die KI-Systeme werden zunehmend in der Lage sein, soziale Interaktionen zu simulieren. Ob dazu auch Emotionen und Gefühle gehören werden, bleibt abzuwarten. Aber die Chancen sind da, dass KI die soziale Interaktion ersetzen kann.

Prof. David Kobler: Spannend wird sein, ob die Akzeptanz für KI im Lehr- und Lernprozess zunehmen wird. Für die jüngere Generation gehört KI bereits zum Alltag, sie sind diesbezüglich anders sozialisiert, und die Akzeptanz von simulierter sozialer Interaktion ist deshalb vielleicht grösser.

Dieses Interview wurde im Rahmen der Veranstaltung «Lehrreich und Lecker 2024» des ZHB Zentrum für Hochschulbildung der OST geführt. Die Fragen stellten Prof. Heinz Bleiker, Leiter des ZHB sowie Absolventinnen und Absolventen des CAS Hochschuldidaktik.

CAS Hochschuldidaktik

Der CAS Hochschuldidaktik fördert die individuellen didaktisch-methodischen Kompetenzen von Hochschuldozierenden. Auf der Basis von aktuellen Konzepten und empirischen Erkenntnissen sowie durch die Reflexion und Weiterentwicklung der eigenen Lehrpraxis werden die Teilnehmenden darin unterstützt, ihre Unterrichtsqualität weiter zu steigern.

Dieser Artikel wurde als Erstpublikation auf weiterwissen.ch veröffentlicht.

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