Als einer der besten Eishockey-Goalies des Landes hütet Leonardo Genoni aktuell das Tor des EV Zug. Nebenbei absolviert er einen MAS in Wirtschaftsrecht an der Fernfachhochschule Schweiz (FFHS). Den Bachelor und Master in Wirtschaft hat er bereits in der Tasche. Wie er dieses Pensum neben Spitzensport und Familie mit drei Kindern überhaupt bewältigt, was ihn am Studium reizt und ob er Pläne für die Zukunft hat, verrät er hier im Gespräch. Wir trafen ihn hierzu in Cham im OYM, dem neuen Trainingszentrum für Spitzensport.
Der Start der Hockeysaison wurde auf den Oktober verschoben. Hatten Sie dadurch mehr Zeit für das Studium?
Jein. Theoretisch hätte ich generell in den Pausen zwischen den Saisons mehr Zeit. Doch während der Saison kann ich die Arbeit am Studium besser einplanen. Ich nutze die Zeitfenster zum Lernen, wie zum Beispiel bei den Carfahrten zu Auswärtsspielen oder zwischen den Trainings. Deshalb schreibe ich mittlerweile traditionell im Winter bessere Noten. Im Sommer hingegen bin ich mehr zu Hause bei der Familie und die straffe Planung fällt weg, obwohl ich mehr Zeit hätte. Es ist eigentlich paradox.
Also hat Ihr Studium nach dem Abbruch der Saison ebenfalls gelitten?
Zwar hat die FFHS sehr rasch und effizient auf reinen Online-Unterricht umgestellt. Auch der Präsenztag jeden zweiten Samstag läuft bis jetzt interaktiv. Die Voraussetzungen wären eigentlich ideal gewesen. Doch es war eben auch eine spezielle Zeit, die uns mit dem Homeschooling unserer Kinder in Anspruch genommen hat. Aber letztlich habe ich die Prüfungen bestanden. Es war auch ein spannendes Modul im letzten Semester.
Präsenz an Samstagen? Das sind doch während der Saison Spieltage?
Das ist so. Samstage gehen für mich tatsächlich nicht während der Saison. Insofern lagen die Vollzeitstudiengänge sogar günstiger mit den Unterrichtstagen unter der Woche. Doch die FFHS zeigt sich hier sehr flexibel und kommt mir entgegen. Ich habe eine Ausnahmeregelung und kann den Stoff eigenständig erarbeiten, statt nach Zürich gehen zu müssen. Ich gehe auf die Dozenten zu oder tausche mich in entsprechenden Foren mit den Mitstudierenden aus. Über diese Lösung bin ich sehr froh.
Wie sind Sie zum FH-Studium gekommen?
Ich habe ja die Matura gemacht und es dann erst an der Fernuni versucht. Dort liessen sich die Prüfungsblöcke leider nicht verschieben. Also musste ich das Studium abbrechen. Ich habe weitergesucht und die FFHS entdeckt. Schon beim Bachelor und Master hat sich die Studienleitung sehr flexibel und entgegenkommend gezeigt, was mich positiv überrascht hat. Ich konnte Prüfungen wenn nötig auch vorholen. Das hilft mir enorm und ermöglicht mir überhaupt ein Hochschulstudium.
Was ist eigentlich Ihr Antrieb, neben der Sportkarriere auch ein anspruchsvolles Studium an das andere zu reihen? Sie könnten ja zum Beispiel auch nach der aktiven Sportlerzeit studieren.
Ja, das könnte ich. Doch nachdem ich mit 20 Jahren den Weg zum Eishockeyprofi eingeschlagen hatte, bemerkte ich bald, dass mich das nicht ganz erfüllt. Ich möchte daneben auch noch etwas anderes Sinnvolles machen, einen etwas breiteren Horizont bewahren. Und wenn man mit 20 mit der Schule aufhört und erst 15 bis 20 Jahre später wieder in eine Ausbildung oder auf den Arbeitsmarkt kommt, ist das schon ein grosser Gap. Deshalb habe ich mir sozusagen dieses Hobby zugelegt.
Als Hobby ist Ihr Studium auch in Ihrem Profil auf der EVZ-Seite deklariert. Ein anspruchsvolles Hobby ...
Das ist keineswegs despektierlich gemeint. Ich mache es gewissenhaft und nehme das Studium sehr ernst. Aber es hat für mich eben auch alle Attribute eines Hobbys: Es macht Spass, es erfüllt mich und bringt mir etwas. Und es ist schön, Kontakt zu «normal» Arbeitenden zu haben und einen Einblick in die Arbeitswelt neben dem Hockey zu erhalten. Aber natürlich ist es auch intensiv, klar.
Verlangt es auch viel Disziplin, wenn Sie alle Pausen und Lücken für das Studium ausnutzen müssen?
Sicher. Es ist ein Aufwand, manchmal streng, doch es gibt mir etwas. Während ich früher Mühe damit hatte, in die Schule zu gehen, bezahle ich heute dafür und mache es gerne. Und es ist nicht so, dass ich immer auf den Spass verzichten muss, den die anderen haben.
Wie kam es, dass Sie Goalie und nicht Feldspieler wurden?
Schwer zu sagen. In der Hockeyschule wechselt man anfangs die Positionen. Der Goalie hat die grösste Ausrüstung, er wirkt imposant mit seinen Polstern. Das hat mir Eindruck gemacht. Und wenn man sich in dieser Ausrüstung vor ein Junioren-Tor legte, kam kein Schuss mehr rein. Das gefiel mir. Ausserdem habe ich zwei Brüder, einer musste da jeweils ins Tor, das war meist ich. Irgendwann musste ich mich dann entscheiden.
Ist es einfacher, sich als Goalie durchzusetzen?
Ich denke, nicht zwingend, es benötigt ja auch weniger Goalies als Feldspieler. Um sich durchzusetzen, braucht es immer auch Glück. Ich kam zu meinem Debüt bei den Profis, weil sich gleich zwei Goalies verletzten. Zwar glaube ich, dass jeder, der gut genug ist, diese Chance irgendwann erhält. Die eigentliche Herausforderung ist, dass man sie dann auch zu packen vermag. Man kann 1000 Schüsse halten, doch wenn man einen spielentscheidenden durchlässt, dann ist es rasch vorbei. Das macht den Goalie aus: zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort sein und das Richtige machen. Da ist hie und da auch eine Portion Zufall dabei.
Haben Sie bereits konkrete Berufspläne für die Zeit nach der Sportkarriere?
Konkrete Pläne habe ich nicht. Klar mache ich mir Gedanken. Ich suchte auch schon ein Praktikum im tiefen Prozentbereich, um etwas Arbeitsluft zu schnuppern. Doch es zeigte sich, dass sich das nicht mit dem Eishockey vereinen liess. Unter anderem deshalb habe ich mich entschieden, stattdessen den MAS zu machen. Wo es hinführt, werde ich noch sehen.
Fühlen Sie sich manchmal als Exot unter den Spielern?
Ich mache das ja nicht für andere, sondern für mich. Das Eishockey steht noch immer an erster Stelle, und solange die Leistung nicht unter dem Studium leidet, muss ich mich vor niemandem rechtfertigen. Die Frage, ob Exot oder nicht, stellt sich deshalb für mich nicht.
Wie sieht es eigentlich mit Ihren Eishockey-Kollegen aus? Gibt es da weitere Studenten?
Hier beim EVZ gibt es ein paar. Immerhin. Als ich zuvor in Bern spielte, gab es nur einen, davor in Davos war ich der einzige. Damals war ich wirklich alleine auf weiter Flur, zudem war das Bachelorstudium sehr zeitintensiv.
Also gewinnt das Thema Bildung unter Ihren jungen Berufskollegen an Bedeutung?
Es hat sicher zugenommen. Viele machen etwas, einige hier sind auch an der Berufsmatura. Diese kommen nun zu mir, wenn sie Fragen haben. Ich bin sozusagen vom Studenten zum Lehrer geworden. Es ist schon witzig.
Sie können also durchaus mal auch mit Kollegen fachsimpeln.
Gerade wenn es um Verträge oder Vertragsanpassungen geht, auch im Zuge von Corona, wird sehr viel darüber diskutiert. Auch bei den Spieleragenten gibt es viele Themen, unter anderem Vertragsdetails, da ist es schön, wenn ich mich auf Augenhöhe austauschen kann und auch weiss, worum es geht. Da fliesst ab und an auch Wissen aus dem Studium mit ein.
Bleibt neben Ihrem Hobby an der FH und der Familie überhaupt Zeit für anderes?
Ich habe mich das auch schon gefragt. Momentan nicht. Aber das macht mir nichts aus. Mein Leben ist erfüllt, so wie es ist.
Was ist Ihr persönliches Erfolgsrezept, um so weit zu kommen?
Vor allem ehrliche Arbeit. Das eine ist, an die Spitze zu kommen. Die grössere Herausforderung ist, dort zu bleiben. Das heisst repetieren und dazulernen. So ist es auch im Studium. Das ist ehrliche, harte Arbeit. Das habe ich in meinem Leben verinnerlicht. Diesen Schritt musste auch ich erst machen. Denn sicher bin ich auch mit viel Talent gesegnet. Damit kommt man in der Schweiz schon mal relativ weit. Aber um danach den Schritt zu den Profis zu machen, sich an die Spitze zu kämpfen und vor allem dort zu bleiben – dazu ist harte Arbeit die Grundvoraussetzung.
Wie planen Sie Ihre weitere Sportkarriere? Sie haben ja mit 33 als Goalie noch einige gute Jahre vor sich. Planen Sie mit einer bestimmten Strategie oder haben Sie gar einen Zeitpunkt im Hinterkopf, wann Schluss ist?
Die Voraussetzung ist, dass ich noch Freude am Eishockey habe. Wenn ich keine Freude mehr hätte, würde ich wohl am nächsten Tag aufhören. Ich stehe morgens auf und sage zu meinen Kindern: «Ich gehe spielen.» Ich muss nicht in dem Sinne «arbeiten» gehen. Dieses Privileg ist für mich entscheidend.
Dieses Interview ist als Erstpublikation im Magazin INLINE von November 2020 erschienen.