Ein Stückchen Glück

Charlotte Acakpo leitet neben ihrem Studium in sozialer Arbeit ehrenamtlich die Gefängnisbesuchsgruppe einer NGO. Mit ihren Besuchen im Ausschaffungsgefängnis bringt sie rare Glücksmomente in das Leben von Menschen, die in einer schwierigen Lage stecken. Ihre Arbeit empfindet sie nicht nur als sinnstiftend, sondern kann davon auch viel mitnehmen für ihr Studium.

Welten liegen zwischen dem Leben von Charlotte Acakpo und ihren Gesprächspartnern. Die FH- Studentin stattet Menschen, die in Kloten in Ausschaffungshaft sitzen, wöchentliche Besuche ab. So bringt sie den zumeist abgewiesenen Flüchtlingen etwas Licht in deren Alltag. Sie tut es nebenamtlich neben ihrem Studium in sozialer Arbeit an der Hochschule Luzern, das sie diesen Sommer abschliesst. 

Wenn Acakpo über ihre Arbeit im Gefängnis spricht, tut sie es mit einer Ernsthaftigkeit, aus der eine tiefe Überzeugung zu spüren ist. Es ist ihr ein Anliegen, den Menschen in ihrer teils verzweifelten Situation ein positives Gefühl zu vermitteln, auch wenn es nur für einige Stunden ist. Ein Stückchen Glück in einem sonst eintönigen und ausweglos scheinenden Alltag. Dabei wird ihr das Privileg, in der Schweiz zu leben, immer wieder vor Augen geführt. «Ich denke für mich immer wieder, dass ich dafür dankbar sein kann», sagt sie. Ein Dach über dem Kopf, Sicherheit, ein demokratisches Land - es sind Dinge, deren Selbstverständlichkeit man sonst gewohnt ist. «Trotzdem würde ich nicht behaupten, dass ich deshalb zwingend glücklicher bin als andere. Man kann ja auch unter anderen Umständen glücklich sein im Leben. Wir streben durch unsere privi­legierte Lage dafür immer nach mehr, was uns manchmal auch daran hindert, unser Glück zu erkennen.»

Enttäuschte Erwartungen, aber auch Dankbarkeit

Wie das Glück sieht Charlotte Acakpo auch das Unglück nicht einseitig verteilt. Zumindest hat der Begriff «Glück» für die Menschen in der Ausschaffung eine ganz andere Bedeutung. «Nicht alle sind nur unglücklich», sagt sie nachdenklich. Der Umgang mit der Situation und die Vorgeschichte sind von Person zu Person unterschiedlich. «Verständlicherweise sind die Inhaftierten sehr niedergeschlagen, deprimiert und unsicher, da kommen enorm viele Emotionen hoch.» Da seien oft enttäuschte Erwartungen in ein Land, das man als Hort der Humanität und Menschenrechte erwartet hatte, wo man dann aber auf eine andere Realität getroffen sei. Doch erfährt sie auch viel Dankbarkeit, von Menschen, die auch in der Haft froh darüber sind, wenigstens ein Dach über dem Kopf und Nahrung zu erhalten. Und speziell in der jetzigen Situation während der Covid-19-Pandemie seien auch einige Insassen des Gefängnisses froh, von der Aussenwelt weitestgehend abgeschottet zu sein. «Sie wüssten gar nicht, wohin sie gehen sollten in der jetzigen Lage.»

Aufenthalte dauern oft Monate

Geteiltes Leid ist halbes Leid, lautet ein bekanntes Sprichwort. Ist geteiltes Glück auch doppeltes Glück? «Ja, ich denke schon», sagt Acakpo nachdenklich. «Wenn ich selber etwas Tolles erlebt habe, kann ich das ihnen erzählen.» Die Leute würden sich für das Leben ihrer Besucher interessieren, hätten dadurch auch etwas Ablenkung. Denn nicht selten müssen sie Monate im Ausschaffungsgefängnis ausharren, da entsteht eine beidseitige Beziehung. «Man kann auch mal zusammen lachen, es lustig haben. Das verbindet und stärkt das Vertrauen.»

Doch gerade die lange Dauer in Haft – in manchen Fällen bis zu 18 Monate – kann zermürbend sein. «Es verändert die Menschen. Die meisten von ihnen waren ja noch nie im Gefängnis. Einige zerbrechen daran, das ist nicht leicht zu ertragen.» Charlotte Acakpo und ihre Kolleginnen und Kollegen versuchen dem entgegenzuwirken, indem sie für die Betroffenen ein offenes Ohr haben, ihnen ernsthaft zuhören. «Es gilt, ihre Emotionen und Gefühle anzuerkennen, Empathie zu zeigen, ihre Situation zu würdigen. Wir zeigen, dass wir sie verstehen und versuchen, ihr Selbstvertrauen zu stärken.» Zur Ablenkung dient auch mal ein Kartenspiel, eine Diskussion über Sport oder eine Deutschlektion. «Doch, meine Arbeit empfinde ich auf jeden Fall als sinnstiftend, auch als glücksbringend», resümiert sie.

Keine Besuche wegen Corona

Für die Menschen in der Ausschaffung sind die Besuche ein wichtiger Bestandteil des wöchentlichen Ablaufs, ein Lichtblick in der Tristesse. Umso schwieriger ist die derzeitige Situation. «Im Moment können wir aufgrund von Corona keine Besuche machen», erklärt Acakpo. Sie sind zum Schutz der Menschen in Haft nicht mehr zugelassen. Deshalb hat die Besuchsgruppe kurzfristig ein Alternativangebot auf die Beine gestellt. Die Leute können sich für schriftlichen Kontakt per Brief oder E-Mail melden. Sie erhalten eine halbe Stunde pro Woche Zugang zu einem Computer mit Internet. Besser als gar nichts.
Es versteht sich von selber, dass sich Charlotte Acakpo abgrenzen muss von den Schicksalen, die sie bei ihrer Arbeit mitbekommt. Sie muss verhindern, diese mit nach Hause zu nehmen. Ihr Studium ist da eine wichtige Stütze. Den Aspekt der Abgrenzung hat sie zum Beispiel direkt in einem Modul eingebaut. Allgemein kann sie auch Themen wie Nähe und Distanz oder aktives Zuhören aus ihrem Studium in die Arbeit übertragen. Daneben ist sie froh um das Hintergrundwissen, gerade auch im rechtlichen Bereich. «So lerne ich das System besser verstehen, wie zum Beispiel auch die Begründung, warum eine Person nun ausgeschafft wird und keine Aufenthaltsbewilligung erhält.»

Tätigkeit über Studium hinaus

Dass Charlotte Acakpo auch nach dem Studium im Asyl- und Flüchtlingsbereich tätig sein wird, scheint vorgezeichnet zu sein. «Das interessiert mich schon stark. Ich möchte auch nach dem Studium weiterhin die Gefängnisgruppe leiten.» Denn wie sie zum Schluss nochmals klarmacht, ist ihr Engagement eine Herzensangelegenheit. «Diese Menschen sitzen, zumeist ohne ein Verbrechen begangen zu haben, im Gefängnis. Alles, was sie getan haben, ist, im falschen Land geboren worden zu sein. Wenn die Gefängnisgruppe nur etwas Kleines dazu beitragen kann, dass ihre Situation erträglicher wird, hat es sich bereits gelohnt.» Der Lohn für ihre Arbeit erfolgt in Form von grosser Dankbarkeit. «Wir erhalten immer wieder sehr schöne Rückmeldungen der Menschen, dass sie enorm froh sind um unsere Hilfe, diese Zeit zu überstehen.» Besonders eindrücklich ist, wenn später Post eintrifft. «Es kommt vor, dass sie uns schreiben von dort, wo sie nun leben, und nochmals ihre Dankbarkeit ausdrücken.»

Dieses Porträt ist als Erstpublikation im Magazin INLINE Mai 2020 erschienen.

ERFAHRUNG IN DER GESUNDHEITSBRANCHE

Charlotte Acakpo (27) ist in Zürich aufgewachsen und hat eine Lehre als Fachangestellte Gesundheit absolviert. Bei der Spitex sammelte sie erste Arbeitserfahrung. Danach absolvierte sie die Berufsmatura und nahm das Bachelorstudium in sozialer Arbeit an der Hochschule Luzern auf, bei dem sie nun im letzten Semester ist. Neben dem Studium arbeitet sie in einem 50-Prozent-Pensum beim Verein Prointegration als Projektassistentin für das Projekt Fokusnetzwerk. Ehrenamtlich ist sie zudem für die Organisation Solinetz tätig, wo sie die Gefängnisbesuchsgruppe leitet.

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