Andreas Gerber-Grote: Viele Politiker, ich benutze bewusst die männliche Form, denken: Das bisschen Pflege kann quasi jede:r, eine Ausbildung sei gar nicht nötig. Die Versorgung im deutschsprachigen Raum ist sehr arztzentriert, wodurch andere Berufe zu wenig attraktiven «Hilfsdiensten» degradiert werden. Dazu kommt, dass die Pflege keine eigene Lobby hat. Deshalb wurde auch lange nicht auf die Stimmen aus der Praxis gehört. Und nicht zuletzt wurde einfach zu lange zu wenig getan, um Arbeitsaustritte zu kompensieren.
Es muss viel mehr getan werden. Die kommenden Jahrgänge sind kleiner und auch andere Berufe kämpfen um Bewerber:innen. Der Pflegeberuf muss deshalb insgesamt attraktiver gestaltet werden. Es braucht echte Karrieremöglichkeiten, mehr Spielraum für beispielsweise neue Schichtmodelle und wesentlich bessere Arbeitsbedingungen. Hier wird besonders die zweite Etappe der Pflegeinitiative relevant.
Serien aus dem deutschsprachigen Fernsehen bedienen veraltete Klischees: die Pflege als verlängerter Arm der Ärzteschaft. Damit liegt die Definitionsmacht und Deutungshoheit nicht in der Pflege bzw. Pflegewissenschaft, sondern andere definieren, was gute Pflege ist. Hingegen bedeutet Pflege im heutigen Sinn, und das ist auch international so, dass wir Expert:innen haben, die die wissenschaftliche Datenlage kennen, beispielsweise zur Sturzprävention, Wundversorgung oder zur familienzentrierten Versorgung, und dass sie diese auch umsetzen können.
Wir achten weiter darauf, möglichst gut geeignete Kandidat:innen zum Studium zuzulassen. Durch die Ausweitung erfolgreicher Lehr-/Lernsettings hoffen wir, eine Attraktivitätssteigerung des Studiums zu erreichen, dazu zählt etwa das Forcieren digitaler Transformation und vermehrter Simulationen. Dabei ermöglichen nachgestellte, komplexe Realsituationen in unserem «Safe Learning Space» ein Handeln im geschützten Rahmen. Wir diskutieren auch neue Studienmodelle für unterschiedliche Gruppen, zum Beispiel Fachpersonen Gesundheit (FaGe). Ich denke, Hochschulen, die jetzt Experimente eingehen, werden attraktiv für die Gen Z. Diese Ansätze sehen wir aktuell als grosse Chance.
Nicht durch die Pflegeinitiative. Es sei denn, die Zahl an Studierenden stiege so markant, dass sich ein Mangel an Dozierenden und Praxisausbildnern ergäbe. Dies würde ein ungünstiges Wettrennen nach sich ziehen. Aber leider macht uns die Politik derzeit das Leben schwer. Gewisse Kreise fordern neu ein Jahr Arbeitswelterfahrung für gymnasiale Bewerber:innen vor dem Fachhochschulstudium. Das war bislang nicht so und wäre kontraproduktiv. Das Studium Pflege würde dadurch weniger attraktiv. Und genau das gilt es zu vermeiden.