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Vom Bodenleger zum Arbeitsagogen

Grosse Unternehmen wie H&M und die Post öffnen erstmals ihre Türen für Menschen mit Beeinträchtigungen. Für eine nachhaltige Inklusion braucht es ausgebildete Fach- und Führungskräfte. Im jungen Berufsfeld der Arbeitsagogik hat ein ehemaliger Bodenleger seine Berufung gefunden und plädiert nun für mehr Inklusion in der Arbeitswelt.

Autorin: Nora Lüthi

Es rattert, hämmert, klirrt und knallt in der geschützten Werkstatt in Winterthur. Dazwischen werden Begrüssungen ausgetauscht und Kaffee getrunken. Der Arbeitsagoge Krenar Jones Schibli zeigt, mit was seine Mitarbeitenden momentan beschäftigt sind. Obwohl erst Anfang September ist und die Sommerhitze noch allen den Schweiss ins Gesicht treibt, werden hier schon Dreikönigskuchen-Säckchen für einen Detailhändler sortiert. Es fange immer wie früher an, bemerkt Jones Schibli mit einem breiten Grinsen.

Menschen mit Beeinträchtigungen auf Augenhöhe begegnen

Die professionelle Leitung und Betreuung von Menschen mit Beeinträchtigungen bei der Arbeit steht im Zentrum der Arbeitsagogik. Das Ziel des Arbeitsagogen Jones Schibli ist es, die persönlichen und sozialen Kompetenzen der Betreuten zu fördern. «Für mich ist es sehr wichtig, meinen Mitarbeitenden auf Augenhöhe zu begegnen, deshalb nenne ich sie auch nicht Klientinnen und Klienten», erklärt er mit ernstem Tonfall. Von Personen mit Borderline-Persönlichkeitsstörungen über Depressionen bis zu sozialen Phobien – seine 20 Mitarbeitenden haben eine grosse Breite an psychischen Beeinträchtigungen. Die Arbeit in der geschützten VESO-Werkstatt soll ihnen eine selbstständigere Lebensgestaltung und eine eventuelle (Wieder-)Eingliederung in die Arbeitswelt ermöglichen. In der Werkstatt arbeiten sie beispielsweise an Verpackungsaufträgen, Montagearbeiten oder Stickereien auf Textilien. An seiner Arbeit gefällt Jones Schibli besonders die Diversität der Menschen. «In dieser Werkstatt arbeiten viele Personen mit unterschiedlichen Problemen, Bedürfnissen und Ressourcen.» Dies kann jedoch auch herausfordernd sein: «Jeden Morgen muss ich von neuem herausfinden, wie ich an meine Mitarbeitenden herankomme und sie bestmöglich für die Arbeit motivieren kann», erklärt der Arbeitsagoge.

«Es fällt mir überhaupt nicht schwer, unvoreingenommen auf Menschen mit Beeinträchtigungen einzugehen. Sie wollen einfach gleichbehandelt werden wie alle anderen.»

Krenar Jones Schibli
Arbeitsagoge und Gruppenleiter in der VESO-Werkstatt Winterthur

Von der Baustelle in die Soziale Arbeit

Für das Berufsfeld der Arbeitsagogik gab es lange keine richtige Bezeichnung. Trotzdem hat Jones Schibli schon immer einen persönlichen Bezug zu dieser Arbeit. Sein Bruder hat seit Geburt Invalidität. In seiner Tätigkeit als Arbeitsagoge sei er froh, dass er damit schon früh in Berührung kam. «Es fällt mir überhaupt nicht schwer, unvoreingenommen auf Menschen mit Beeinträchtigungen einzugehen. Sie wollen einfach gleichbehandelt werden wie alle anderen.» Zu Beginn musste er nur auf seine Sprache achten. «Von der Baustelle in die soziale Arbeit, – da redet man anders miteinander», erzählt er lachend. Nach einer Ausbildung zum Bodenleger hat Jones Schibli zwölf Jahre auf dem Bau gearbeitet. Ein Bandscheibenvorfall und eine Operation stellten ihn plötzlich vor neue Tatsachen. «Ich wusste, dass ich nicht weiter als Bodenleger arbeiten konnte und wollte. Auf dem Bau fehlten mir immer die Kommunikation und die enge Zusammenarbeit mit anderen Menschen.» Durch den IV-Berater des Bruders ist er dann auf die Arbeitsagogik gestossen. «Mir wurde schnell klar, dass die Arbeitsagogik zu mir passt: Sie vereint meinen persönlichen Hintergrund und meine Leidenschaften.» Er absolvierte die Ausbildung zum Arbeitsagogen und ist seit 2021 Gruppenleiter in der VESO-Werkstatt. Letztes Jahr schloss er seine Berufsprüfung ab und absolviert seitdem den CAS Leadership in Arbeitsagogik an der OST – Ostschweizer Fachhochschule.

Wenn man nicht nur über Inklusion sprechen, sondern diese auch umsetzen will, muss die Integration der Menschen des zweiten in den ersten Arbeitsmarkt irgendwann Realität werden. Die geschützten Werkstätten sind meiner Meinung nach ein Auslaufmodell.

Krenar Jones Schibli, Teilnehmer des CAS Leadership in Arbeitsagogik an der OST – Ostschweizer Fachhochschule

Inklusion in die Realität umsetzen

«Wenn man nicht nur über Inklusion sprechen, sondern diese auch umsetzen will, muss die Integration der Menschen des zweiten in den ersten Arbeitsmarkt irgendwann Realität werden. Die geschützten Werkstätten sind meiner Meinung nach ein Auslaufmodell», betont Jones Schibli. Dass dies eine Vision für die Zukunft ist, ist ihm bewusst. Denn obwohl Diversität in den meisten Unternehmen zunehmend an Bedeutung gewinnt, profitieren die 1.7 Millionen Menschen mit Behinderung in der Schweiz noch kaum davon. Grosse Unternehmen, die bewusst Mitarbeitende mit Beeinträchtigungen beschäftigen, bilden eine kleine Minderheit. Die Schweiz hinkt im internationalen Vergleich im Thema Inklusion hinterher. Andere Länder haben Quoten eingeführt, wie viele Menschen mit Beeinträchtigung mindestens in einem Unternehmen angestellt sein müssen. Jones Schibli reagiert skeptisch und warnt: «Einfach Quoten-Vorgaben zu machen, kann auch schief gehen. Es kann passieren, dass eine nachhaltige Integration nicht gewährleistet wird, weil die Menschen mit Beeinträchtigung nicht richtig arbeiten dürfen und nicht fair entlöhnt werden.» Umso wichtiger sei es deshalb, dass Arbeitsagoginnen und Arbeitsagogen von den Unternehmen beschäftigt werden, um eine erfolgreiche Integration von Menschen mit Beeinträchtigungen zu gewährleisten.

CAS Leadership in Arbeitsagogik

Arbeits- und Ausbildungsplätze für benachteiligten Personen spielen eine wichtige Rolle bei der Integration. Der CAS Leadership in Arbeitsagogik vermittelt spezifische Kompetenzen, die für die Entwicklung und Umsetzung entsprechender Angebote notwendig sind, und befähigt dazu, Führungsaufgaben und -verantwortung zu übernehmen.

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