Jonas Müller: «Alleine mit dem Sport war mein Kopf nicht ausgelastet»

Profisportler sind es sich gewohnt zu performen. Der Schritt hinüber in eine Berufskarriere nach dem Sport ist dennoch oftmals steinig. Jonas Müller hat früh über den Tellerrand hinaus geschaut und an der Fernfachhochschule einen Bachelor absolviert. Nun hat er sich seinen Traum erfüllt und die eigene Bakery mit Kaffee eröffnet.

Mittwochnachmittag, ein unauffälliger weisser Neubau beim Wipkingerplatz in Zürich. Im Erdgeschoss ein grosszügiges Lokal mit doppelter Raumhöhe, schlichte, hochwertige Einrichtung, edle Marmortheke. Sie stammt von der Vormieterin, einer Pizzeria. Seit August werden hier in der WIM Bakery mit Café Sauerteigbrot, Focaccia und Zimtknollen gebacken. Jonas Müller und sein Team verkörpern die neue, urbane Form der Bäckerei. Lifestyle inklusive. Silserli und Nussgipfel sucht man vergebens. Dafür sieht jeder Laib aus wie eine Kostbarkeit. Nahrungsmittel, die man würdigt, anstatt sie auf dem Weg zum Tram hastig in den Rachen zu drücken.

Viel, sehr viel Handarbeit

Es ist noch etwas zu früh für das vereinbarte Interview. Jonas Müller kommt aus der Backstube und entschuldigt sich. Er muss noch einen Briocheteig fertigmachen. Vieles wird hier von Hand erledigt. «Leider noch etwas zu viel», sagt Jonas. Eine Teigausrollmaschine wäre mal nötig.

Jonas Müller? Ja genau, der Eishockey-Torhüter. Dem Profisport hat der 40-Jährige vor bald zehn Jahren den Rücken gekehrt. Bewusst. Er arbeitet heute Teilzeit im Marketing,Teilzeit an der Seite seiner Brüder im Bäckereibetrieb seiner Familie im Kanton Glarus. Und nun vor allem in seinem eigenen Betrieb hier. Dabei kommt ihm zugute, dass er während der aktiven Karriere ein Wirtschaftsstudium an der Fernfachhochschule Schweiz (FFHS) absolviert hat.

Zehn Minuten später, Jonas hat sich Wasser geholt und an den Tisch gesetzt.

Ab wann hast du dich bewusst auf deine «Karriere nach der Karriere» vorbereitet?

Jonas Müller: Schon während des Sportgymnasiums in Davos war mir klar, dass ich für später etwas in der Hand haben möchte. Ganz egal wie erfolgreich meine Sportkarriere werden würde, irgendwann würde sie vorbei sein. Und alleine mit dem Sport war mein Kopf einfach nicht ausgelastet. Ich suchte etwas Tieferes. Dazu wollte ich verhindern, nach der aktiven Karriere beruflich in meinem Sport gefangen zu bleiben.

Wie hast du deinen Kopf ausgelastet?

Ich habe oft daneben etwas gearbeitet, aus dem einfachen Interesse, auch etwas anderes zu sehen. Ich war bei McDonald’s, dann eine Zeit lang bei Heineken. Weil ich als Sportler die Clubs oft wechselte und längere Zeit nirgends richtig sesshaft wurde, dauerte es eine Weile, bis ich die Abzweigung zum passenden Studium an der Fachhochschule fand.

Hattest du Teamkollegen, die studierten?

Es war ein glücklicher Zufall, dass zu meiner Zeit drei Teamkollegen mit dem Studium an der FFHS begannen und wir eine Gruppe bildeten, die sich gegenseitig unterstützten. Wir taten uns zusammen für Gruppenarbeiten oder trafen uns zum Lernen. Der Abschluss hat mir berufliche Perspektiven gegeben. Aber auch die vertiefte Beschäftigung mit Zahlen schadet nicht, wenn man sich selbständig macht.

Was ist für dich persönlich der grösste Wert an diesem Bachelor?

Am Schluss ist das die Auseinandesetzung mit sich selber. Sich hinzusetzen und auf ein Ziel hinzuarbeiten. Wie beim Sport, aber anders. Es ist das persönliche Wachstum, welches ich daraus mitnehme.

Siehst du, dass andere Sportler Mühe haben, im «normalen» Berufsleben Fuss zu fassen?

Ich fand es auch nicht einfach! Dabei hatte ich immer ein Bein in der Arbeitswelt, dazu die Nähe zum Betrieb zu Hause. Trotzdem ging es mir so wie vielen Sportlern: Wir kommen in unseren Dreissigern aus der Sportkarriere. Am Arbeitsmarkt ist unsere Konkurrenz fünf bis zehn Jahre jünger, hat einen Bachelor- oder gar Masterabschluss und mehrere Jahre Berufserfahrung. Wenn man sich da irgendwo überhaupt vorstellen darf, wenn auch durch Beziehungen, ist das schon ein Erfolg. Das ist die Realität. Es sei denn du bist als Sportler so bekannt, dass alleine dein Name einer Firma einen messbaren Gewinn bringt.

Die Alternative wäre…

Dass man gefangen bleibt in seinem Sport, im Gefäss Eishockey. So geht es vielen. Deshalb war das Studium so wichtig. Ohne den Abschluss an der Fachhochschule hätte ich diese Unabhängigkeit nicht erlangt.

Bei dir gab es auch die berufliche Option im Familienbetrieb. Oder war das eher eine Bürde?

Das Gute ist, dass wir fünf Jungs sind, ich bin der Mittlere. Dadurch habe ich nie den Druck verspürt, den Betrieb übernehmen zu müssen. Ich war ohnehin sozusagen das schwarze Schaf der Familie mit meiner Eishockeykarriere, während meine Brüder «normale» Berufswege gewählt haben. Wir haben aber ein entspanntes Verhältnis. Ich helfe bei ihnen mit, sie haben hier bei mir investiert und unterstützen mich, wo immer ich es brauche.

Das Lokal hier ist nicht gerade klein. Rechnet sich das?

Die Lage ist nicht schlecht, aber auch nicht top zentral. Unter der Woche können wir noch zulegen, während es am Wochendende sehr gut läuft. Für die Miete habe wir ein gutes Konzept gefunden. Ein befreundeter Architekt hat sich mit seinem Büro nebenan eingemietet, über ihm die Marketingagentur, bei der ich arbeite. Den einen Raum nutzen unter der Woche die Architekten, wir am Sonntag. Bisher geht die Rechnung auf.

Wo hast du die Inspiration für die WIM Bakery geholt?

Vor allem auf Reisen in Grossstädten. Ich war mehrmals in Kopenhagen, wo die Bäckereikultur schon viel weiter ist. Auch in Australien oder Berlin gibt es Beispiele. Ich mag diesen Vibe einfach. Wenig Auswahl, dafür müssen die Produkte «verhebe» und top sein. Die Schweiz tickt da noch sehr traditionell. Die einzige Bakery dieser Art sind wir natürlich nicht in Zürich. Aber die wohl eine der wenigen mit einem Café.

Spielst du heute noch Eishockey?

Nur noch sehr selten. Und ich habe es kaum vermisst. Sicher gewisse Aspekte am Profisport, auch das Umfeld. Aber wenn es rein um den Sport geht, gibt es so viel anderes, das ich lange nicht tun konnte, wie Biken, Skitouren, hie und da ein Triathlon. Im Moment aber hätte ich für Eishockey kaum Zeit. Daher musste ich eben erst für ein Legendenspiel Davos gegen Fribourg absagen.

Der Körper würde also noch mitmachen.

Da habe ich Glück – ich bin körperlich fit und wirklich null eingeschränkt. Es ist ein Privileg, nach einer Profikarriere gesund zu sein und noch alles machen zu können.

 

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